Fey 03: Der Thron der Seherin
hergekommen, weil ich eine Katze gesehen habe«, erklärte sie.
»Eine Katze?« Burden wandte sich ihr wieder zu. Solanda zog das Gewand noch fester um sich. Zum ersten Mal seit Jahren spürte sie, daß sie darunter nackt war.
Die Frau nickte. Ihre Augen funkelten in jenem fanatischen Glanz, den Solanda schon zu oft gesehen hatte. »Eine goldbraune. Die schlimmste Sorte. Sie hat meinen Sohn angegriffen.«
»Oh, aber …«, begann Solanda, aber Burden hob die Hand.
»Angegriffen?« fragte er nach.
»Du weißt sicher, daß sie Kinder stehlen«, sagte die Frau mit gedämpfter Stimme.
»Nein«, gab Burden zurück. »Davon habe ich noch nichts gehört.«
Solanda rollte ärgerlich die Augen. Sie hatte diese Bemerkung schon oft gehört. Sie hätte die alte Frau sofort umbringen sollen, als sie Coulter gestohlen hatte. Coulter war ein Inselkind, aber im Besitz ungeahnter magischer Kräfte. Um die Wahrheit zu sagen, hatte Solanda ihn gerettet. Diese angeberischen Kreaturen hatten ja keine Ahnung, wie man ein zaubermächtiges Kind aufziehen mußte.
»Doch, das tun sie«, erklärte die Frau noch einmal. »Sie kommen mitten in der Nacht und stehlen Kinder.«
»Aber jetzt ist heller Tag«, warf Solanda trocken ein. Die Frau drehte sich zu ihr um, als hätte sie Solandas Anwesenheit ganz vergessen.
»Tatsächlich«, begann Burden, als hätte Solanda nichts gesagt, »können Katzen gar keine Kinder stehlen. Das ist nur ein Schauermärchen. Katzen spionieren Leute aus und sind oft grausam, aber für Kinder sind sie vollkommen ungefährlich.«
»Grausam«, knurrte Solanda. Für diese Bemerkung würde Burden bezahlen.
»Ich habe es von jemandem gehört, der es wissen muß«, widersprach die Frau.
»Und der hat es bestimmt wieder von jemandem gehört, der es weiß. Aber euren König scheinen solche Gerüchte nervös zu machen. Ich fürchte, auch Katzen sind Geschöpfe Gottes wie wir alle.«
Geschöpfe Gottes? Solanda runzelte die Stirn. Sie hatte noch nie einen Fey diesen Ausdruck verwenden hören. Noch hatte sie je gehört, wie ein Fey sich ungestraft mit einem Inselbewohner verglichen hatte.
Die Frau hörte Burden offensichtlich zu.
Solanda kreuzte die Arme über der Brust und verlagerte ihr Gewicht auf die Fersen. Die Sache begann sie allmählich zu interessieren.
»Ja«, bestätigte die Frau gerade. »Das sind sie wohl.«
»Ich bin sicher, daß die Katze nur etwas zu fressen gesucht hat.«
»Sie sah wirklich ziemlich mager aus«, stimmte die Frau zu.
Solanda biß die Zähne zusammen. Mager, also wirklich. Sie war hübscher als jede andere Katze, die durch Jahn streunte. Herrlicher, dichter Pelz, ein geschmeidiger, gesunder Körper. Die Frau hatte kein Recht, sie ›mager‹ zu nennen.
»Und sie hat bestimmt Futter gesucht. Das kann man ihr nicht vorwerfen«, sagte Burden.
»Nein«, bestätigte die Frau. »Kann man wohl nicht.«
Burden lächelte und klopfte der Frau auf die Schulter. Sie zuckte nicht zurück und hob auch nicht die Giftflasche. »Ich schlage vor, daß du in Zukunft den Katzen etwas Milch hinstellst und auch deine Nachbarn bittest, dasselbe zu tun.«
»Von Milch bekommen Katzen Durchfall.« Solanda konnte sich nicht länger zurückhalten.
Die Frau sah Solanda an und blinzelte wie jemand, der gerade aufwacht. »Das wäre gegen das Gesetz«, wandte sie ein.
Burdens Mund wurde zu einem schmalen Strich, aber als die Frau sich ihm wieder zuwandte, trug sein Gesicht denselben freundlichen Ausdruck wie zuvor. »Manche Gesetze sind falsch.«
»Das stimmt«, gab die Frau zu. Dann lächelte sie Burden flüchtig zu, fast schien es Solanda, als flirte sie ein wenig mit ihm. »Ich glaube, ich sollte nach Hause gehen. Mein Junge spielt draußen.«
»Vielleicht kannst du nächstes Mal mit ans Feuer ins Warme kommen«, erwiderte Burden.
»Vielleicht«, bestätigte die Frau. Sie raffte ihre Röcke, drehte sich um und schritt durch das Tor. Die Flasche hielt sie nachlässig in der linken Hand. Zwei Fey schlossen hinter ihr die Torflügel.
Bevor sie wieder sprach, wartete Solanda, bis die Frau aus ihrem Blickfeld verschwunden war. »Du hast sie ganz schön eingewickelt«, sagte sie.
Burden zuckte die Achseln. »Man muß nur mit ihnen reden.«
»Das ist es wahrscheinlich«, erwiderte Solanda. »Wir werden ja sehen, ob sie Milch vor die Tür stellt.« Als Solanda das Wort aussprach, schüttelte sie sich leicht. Milch roch immer wundervoll, aber sie wurde krank davon.
Burden wandte sich vom Tor ab und
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