Fey 03: Der Thron der Seherin
gestellt. Sie wollte lieber nicht über diese Art von Angewohnheiten nachdenken.
Sie tauschte die schmutzigen Handtücher gegen ein Gewand ein und seufzte befriedigt, als der warme Stoff sie einhüllte. Burden beobachtete sie, und sie glaubte, Neid auf seinem Gesicht zu lesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein mußte, wenn man wie ein echter Fey aussah und über so wenig magische Kräfte verfügte. Damit stand er nur eine Stufe über den Rotkappen – den kleinen, untersetzten Verwaltern des Todes, die trotz ihrer feyartigen Gesichtszüge kaum die Bezeichnung ›Fey‹ verdienten. Sie verfügten weder über Magie noch über Schönheit oder Anmut. Burden konnte wenigstens die beiden letztgenannten Eigenschaften für sich verbuchen.
»Ich gehe ans Tor«, sagte Solanda schließlich. »Die Frau will bestimmt hereinkommen.«
»Normalerweise haben Inselbewohner hier keinen Zutritt.«
Solanda schnaubte. So weit war es also mit dem vielgerühmten Experiment gekommen. »Hast du Angst vor ihnen, Burden?« fragte sie.
»Bin ich vor wenigen Minuten durch ein Loch in der Mauer hereingeschlüpft?«
Solanda widerstand dem Drang, ihre rechte Hand zu betrachten. Der Putzinstinkt hatte sich noch nicht vollständig verflüchtigt. Statt dessen zog sie eine Schulter hoch. »Man tut, was man kann, um zu überleben.«
»Also bist du es, die Angst vor ihnen hat.«
Dieser Junge wußte nicht, wann es genug war. »Nein«, erwiderte Solanda. »Allerdings befiehlt der Königliche Erlaß, jede Katze sofort zu töten. Nach allem, was ich gehört habe, kann jeder noch so unverschämte Fey dagegen unbehelligt die Straße entlangspazieren.«
»Burden!« rief jemand. »Wir haben Besuch.«
Solanda hob die Augenbrauen. »Du solltest auf Leute hören, die älter sind als du.«
»Du bist nicht so viel älter als ich«, verteidigte sich Burden.
»Kind, ich kann mich noch daran erinnern, wie dein Vater geboren wurde.«
Solanda zog das Gewand enger um sich und spazierte zum Tor. Wenn Burden keine Lust hatte, sich mit dieser verdammten Inselfrau herumzuschlagen, mußte sie es eben selbst tun.
Der Pfad war schlammig, und Solanda war froh, daß sie keine Zeit darauf verschwendet hatte, ihre Füße zu säubern. Der Schlamm war kühl, sonst aber recht angenehm. Oft schmerzten Solandas Füße nach der Wandlung, zum Teil deswegen, weil sie nicht gewöhnt waren, ihr menschliches Gewicht zu tragen.
Die Häuser, an denen Solanda vorbeiging, sahen um keinen Deut besser aus als das erste. Manche hatten sogar Löcher in den Bretterwänden, die mit Stoffresten zugestopft waren. Burden mochte eine gute Idee gehabt haben, aber diese Idee machte ihn noch lange nicht zum Visionär.
Am Tor stand die Frau, umringt von drei Fey. Solanda identifizierte sie als Infanteristen, denn sie war schon oft auf dem Weg in eine Schlacht zwischen ihren Füßen gelaufen.
Die Frau war kleiner als Solanda, aber von dieser Wuchtigkeit, die Solanda immer mit Inselmüttern in Verbindung brachte. Das Kinderkriegen beraubte sie jeglicher Anmut, die sie einst besessen haben mochten, und ersetzte sie durch eine Vierschrötigkeit, die die Inselbewohner beruhigend zu finden schienen.
»Hast du Gift dabei?« fragte Solanda in der Inselsprache. Der Kopf der Frau wirbelte herum. Sie hatte Solanda nicht kommen sehen. Die Augen der Frau waren so blau wie der Himmel an einem sonnigen Tag, ihre Nase klein und keck, das Haar fast gelb. »Das ist Weihwasser«, verbesserte sie.
»Also wirklich, Solanda, sie ist unser Gast«, tadelte Burden. Er stand hinter ihr und sprach Fey.
»Gast?« fragte Solanda in der gleichen Sprache, aber Burden war schon vorgetreten. Er wischte sich die Hände an den Hosenbeinen trocken. Dann streckte er der Frau die Hand hin.
»Willkommen«, sagte er in der Inselsprache. »Hier in der Siedlung bekommen wir nicht oft Besuch.«
Die Frau mußte die Giftflasche in die andere Hand nehmen. Solanda überlief ein Schauder, als die Frau Burdens Hand ergriff, und sie erwartete fast, daß er im nächsten Moment schmelzen würde. Aber er schmolz nicht. Mit der anderen Hand umklammerte die Frau die Flasche.
»Ich heiße Burden«, stellte er sich vor. »Ich leite die Siedlung.«
»Magda«, erwiderte die Frau.
»Wir haben im Moment keine Erfrischungen zur Hand«, entschuldigte sich Burden, »aber wir können dir wenigstens einen sauberen Stuhl anbieten.«
Er drehte sich um, wie um sie hinzuführen, aber die Frau ließ seine Hand los.
»Ehrlich gesagt bin ich
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