Fey 03: Der Thron der Seherin
›den König‹. Und wenn doch, wurde der Titel voller Haß ausgesprochen. Stowe fragte sich, wie Alexander es so weit hatte kommen lassen, obwohl er vermutete, daß Alexander selbst wenig damit zu tun hatte. Alexander hatte die Probleme von seinem Vater übernommen, genau wie jetzt Nicholas und danach Nicholas’ bedauernswerter kleiner Sohn.
Hector stapfte durch den Sumpf, hob erst einen Fuß und stellte ihn bedächtig auf den Boden, bevor er mit dem zweiten ebenso verfuhr. Diese Art zu gehen wirkte seltsam mechanisch, aber sie bewahrte ihn davor, das Gleichgewicht zu verlieren oder steckenzubleiben. Das schlammige Wasser gab schmatzende Geräusche von sich, während Hector in raschem Tempo auf der verborgenen Erhöhung dahinschritt.
Stowe versuchte, nicht zurückzubleiben, aber seine Beine fingen fast sofort an zu schmerzen. Jetzt wünschte er sich, er hätte den Wachsoldaten an seiner Stelle geschickt. Abgesehen von der Gefahr eines neuerlichen Anschlags, über die er mit den Wachen gesprochen hatte, bedeutete die Durchquerung des Sumpfes harte körperliche Arbeit. Fast hoffte er, Hector möge ihn unerwartet angreifen, nur damit dieses Unternehmen ein Ende fand.
Trotzdem war er ganz sicher, daß Hector ihm nichts tun würde. Hector hätte ihn ohne weiteres an jenem Morgen töten können. Der Danite war gegangen, und die Wachen waren nicht in der Nähe der Kirche, die sie für geschützt hielten. Hätten die Dorfbewohner Stowe umbringen wollen, hätten sie reichlich Gelegenheit dazu gehabt.
Der langbeinige Vogel beobachtete, wie sie vorbeizogen, dann steckte er den Schnabel wieder in das feuchte Gras. Ruckartig hob er den Kopf und hielt einen kleinen, zappelnden Fisch im Schnabel. Er verschluckte den Fisch mit dem Kopf voran, Stück für Stück, bis schließlich nur noch der zuckende Schwanz zu sehen war.
Stowe mußte beide Hände ausbreiten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Hier war das Wasser schwarz, das Gras dunkelgrün. Irgendwelche Dinge schwammen um seine Beine, und mehr als einmal stieß er gegen etwas Undefinierbares. Hector schien das alles nicht zu bemerken. Er hatte die Bäume schon fast erreicht, während Stowe erst die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte.
Es war eine Gruppe von vier eher dürren Bäumen mit dürren, verwachsenen Stämmen und knorrigen Ästen. Nur einer von ihnen schien kräftig genug, einen Mann zu tragen. Das dichte Blattwerk warf seinen Schatten auf die Wasseroberfläche.
Als Hector den Baum erreichte, lehnte er sich gegen den Stamm, kreuzte die Arme vor der Brust und wartete. Er sah selbst aus wie ein Dreckbatzen, eine von Menschenhand geformte Lehmfigur, nichts aus Fleisch und Blut. Stowe schüttelte den Kopf. Solche Phantasien waren eine Folge der letzten, allzu ereignisreichen Tage. Wenn er nicht lachte, würde er in Tränen ausbrechen, und das wagte er nicht. Nicht, bis das Rätsel gelöst war.
Allerdings war er sich nicht sicher, weshalb es ausgerechnet jetzt gelöst werden mußte. Kein Sumpfbewohner würde Nicholas angreifen. Nicholas mußte vorerst in Jahn bleiben und lernen, wie man regierte. Die Dorfbewohner schienen nur Anschläge auf Könige zu verüben, die so unvorsichtig waren, sich in die Sümpfe aufzumachen. Wenn Nicholas den südlichen Teil der Insel mied, war er in Sicherheit.
Aber in den letzten Jahren war nichts mehr so einfach gewesen wie früher. Stowe wußte, daß er das Rätsel lösen mußte, sonst würden sich noch weit schlimmere Dinge ereignen. Eine Schlammkreatur wie Hector hatte dem König einen Pfeil in die Brust geschossen und war danach im Sumpf verschwunden. Sicher, das Land war flach, aber Hector schien förmlich mit ihm zu verschmelzen. Stowe bezweifelte, daß die Wachen von der Straße aus mehr erkannten als einen schmutzigen Klumpen an einem Baumstamm.
Stowe hätte den Fall gern als erledigt betrachtet, aber er konnte es nicht. Hector wollte ihm etwas zeigen, etwas anderes als die Tatsache, daß sein eigener Körper sich dem Sumpf so perfekt anpaßte.
Kleine schwarze Käfer stiegen aus dem Wasser auf und schwirrten um Stowes Kopf. Er versuchte, sie wegzuwischen, aber es war zwecklos. Er atmete ein paar von ihnen ein und hustete sie wieder aus, während er stehenblieb. Noch mehr Käfer verfingen sich in seinem Haar und prallten gegen sein Gesicht.
»Nit stehenbleiben. Ihr habt ’n Nest zertreten. Laßt sie in Ruh’.« Wieder klang Hector sehr überlegen.
Mit den Armen wedelnd wie ein Verrückter, ging Stowe weiter.
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