Fey 04: Die Nebelfestung
Schattenland.«
Solanda schüttelte den Kopf. »Die Schamanin sagte, das Kind darf nicht ins Schattenland.«
»Die Schamanin.« Rugars Stimme klang höhnisch. »Seit wann hörst du denn auf die Schamanin?«
Solanda fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Seit mir klar wurde, daß sie die einzige ist, die noch zu Visionen fähig ist.«
»Du bist unbeständig, Solanda.« Er kam näher.
»Das liegt in meiner Natur«, erwiderte sie. Ihre Hand schloß sich fest um den Rand der Wiege.
Er bemerkte es sofort. »Gerade jetzt siehst du aus wie eine Löwin, die ihr Junges verteidigt.«
»Stimmt«, sagte Solanda. »Arianna ist meine Seelenverwandte. Ich kümmere mich um sie.«
»Das kannst du im Schattenland tun.«
»Sie bleibt hier«, erwiderte Solanda und schüttelte entschlossen den Kopf.
Rugar ging auf die Wiege zu. »Du darfst mir gegenüber nicht ungehorsam sein«, sagte er. »Du hast ein Gelübde abgelegt.«
»Ich habe dir meine Schuld zurückgezahlt«, erwiderte sie.
Rugar lächelte. Es war kein freundliches Lächeln. »Deine Schuld ist erst beglichen, wenn ich das sage.«
Solanda zitterte. Sie hatte ihm schon vor so langer Zeit ihr Wort gegeben, daß es ihr ganz natürlich vorkam, auf ihn zu hören. Aber Arianna hatte sonst niemanden. Nicholas konnte ihr nicht helfen. Die Schamanin wollte sie nicht im Schattenland haben. Rugar wollte sie nur für seine Zwecke mißbrauchen. So gut kannte Solanda ihn.
Sie holte tief Luft. »Die Schamanin sagt, mein Gelübde dir gegenüber sei wertlos. Der ganze Angriff sei abgekartet gewesen. Sie sagt, du habest diese Leute, diese Hunde nur auf mich gehetzt, damit du mich retten kannst!«
Er blinzelte und zog die Stirn kraus. »Das ist lächerlich«, sagte er, doch seine Stimme klang nicht amüsiert. Er hatte es geplant. Er hatte sie all die Jahre ausgenutzt.
Ihr eine Schuld aufgebürdet, die sie ihm nie und nimmer schuldig war.
All die Jahre der Botengänge, des Spionierens, in denen sie ihr Talent für kleine Diebereien vergeudet hatte, statt eine Gestaltwandlerin zu sein, eine der besten der Fey.
»Du nimmst Arianna nicht mit«, sagte sie.
»Doch«, gab er zurück. »Ich nehme sie mit.« Er bewegte sich doppelt so schnell, wie sie erwartet hatte, schob sie mit einer solchen Kraft zur Seite, daß sich ihr Griff von der Wiege löste. Sie taumelte rückwärts auf den Kamin zu, versuchte sich im Fallen irgendwo festzuhalten.
Der Klumpen sah mit leeren, ängstlich aufgerissenen Augen auf.
Rugar zog das Kind mitsamt dem Deckchen aus der Wiege. Einen Moment lang sah Arianna wie sie selbst aus. Dann Verwandelte sie sich mit einer gewaltsamen, fast augenblicklich durchgeführten Verwandlung in ihre andere Form. Eben noch war sie ein Fey-Säugling, im nächsten Moment ein kleines weißes Kätzchen.
Rugar ließ das Kätzchen fallen. Es strampelte maunzend durch die Luft und schlug mit einem dumpfen Knall auf den Boden. Kleine Katzen sind mit einer Woche noch blind. Sie hatte sich zwar Bewegung verschafft, konnte aber nichts sehen.
Er bückte sich und langte nach dem Kätzchen, doch in diesem Augenblick stürzte sich Solanda auf ihn und stieß ihn zur Seite. Er packte sie an den Oberarmen, krallte sich in ihre Haut und zog sie mit sich zu Boden. Er landete auf dem Rücken und stöhnte grunzend, als ihm die Luft aus den Lungen wich.
Solanda riß sich von ihm los. Der Schmerz war schauderhaft. Sie sah sich nach dem Kätzchen um, doch ihr Blick blieb an dem Klumpen hängen, der über den Boden kroch. Er hob die kleine Katze mit der rechten Hand hoch, barg sie sanft in den Armen und kehrte in seine Ecke und zu seiner früheren Haltung zurück. Solanda hätte fast einen Jubelschrei ausgestoßen, doch Rugar packte sie abermals und versuchte sie zur Seite zu schleudern.
Sie rammte ihm ihr Knie in den Unterleib, und er schrie vor Schmerzen auf. Hastig rollte sie sich von ihm weg, schnappte sich den Schürhaken und hielt ihn wie eine Keule. Rugar setzte sich auf und hielt eine Hand schützend vor sich.
»Du kannst mir nichts antun«, sagte er.
»Bleib weg von Arianna.«
»Solanda, du weißt, es ist das Beste für die Fey.«
»Ich weiß, daß es falsch ist, wenn du sie mitnimmst. Das hat mir die Schamanin gesagt. Ich höre auf die Schamanin. Sie hat die Vision. Du nicht.«
»Das weißt du nicht.«
»Nein«, gab Solanda zurück. Schon taten ihr die Arme vom Gewicht des Schürhakens weh. »Nein, ich weiß es nicht mit Sicherheit. Aber es liegt auf der Hand. Du bist
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