Fey 05: Der Schattenrpinz
und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich habe alles für dich aufgegeben. Deinetwegen lebe ich an diesem gräßlichen Ort unter all diesen Dummköpfen. Nur deinetwegen.«
»Ich habe dich nicht darum gebeten«, erwiderte Arianna patzig.
»Hätte ich es nicht getan, wärst du nicht mehr am Leben«, erwiderte Solanda. »Deine Wandlungen setzten ein, kaum daß du den Mutterleib verlassen hattest. Die Schamanin überließ dich deinem Vater und forderte ihn auf, sich um dich zu kümmern. Er wußte nicht, was er mit dir anfangen sollte, und flehte sie an zu bleiben. Sie aber sagte, es sei sein eigenes Schicksal, für dich zu sorgen.«
Solanda holte Luft. »Ohne mich wärst du gestorben.«
»Ich bin kein Kleinkind mehr«, entgegnete Arianna. »Ich kann mich auch ohne deine Hilfe Verwandeln.«
»Ja, das kannst du. Aber Gestaltwandler müssen noch eine Menge mehr können, als bloß andere Gestalten anzunehmen.«
»Was verstehst du schon davon?« höhnte Arianna. »Du kannst dich nur in eine einzige Gestalt Verwandeln.«
»Und wie viele stehen dir zur Verfügung?« hakte Solanda nach.
Die Frage stand zwischen ihnen, der Augenblick der Wahrheit. Solanda atmete schwer, außer sich vor Zorn. Der Klumpen glotzte sie an, aber er lehnte sich an seine Schwester. Man konnte nicht sagen, wer hier wen beschützte.
Auch Arianna funkelte Solanda mit trotzig vorgeschobenem Kinn an, das Muttermal flammend rot auf der dunklen Haut. Das Mal veränderte je nach Ariannas Stimmung seine Farbe, aber so deutlich hatte Solanda es noch nie gesehen.
»Ari?« fragte der Klumpen.
»Psst«, beschwichtigte ihn Arianna. »Das ist eine Sache zwischen mir und Solanda.«
»Aber …«
»Psst.«
»Wie viele?« beharrte Solanda.
»Was macht das für dich schon für einen Unterschied?« fragte Arianna zurück. »Du hast es doch vorher auch nicht gewußt.«
»Ich habe überhaupt nicht gewußt, daß du dich auf diese Weise Verwandeln kannst.«
»Doch, das hast du.« Arianna spie Solanda die Worte förmlich ins Gesicht. So wütend hatte Solanda das Mädchen seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen. »Das hast du jedenfalls immer behauptet. Als ich noch ein Säugling war, habe ich mich ständig in alle möglichen Gestalten Verwandelt. Hast du wirklich geglaubt, das hätte sich geändert?«
»Du hast mir erzählt, du hättest dich für eine Gestalt entschieden. Wie es gewöhnlich alle Gestaltwandler tun. Du hast gesagt, du wärst eine Katze.«
»Weil du wolltest, daß ich eine bin. Wie du.«
Die Unterlippe des Klumpens zitterte. »Ari …«, begann er wieder.
»Warte, Sebastian. Laß mich ausreden.«
Der Klumpen senkte den Kopf. Solanda betrachtete ihn. So lebhaft hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen.
»Ich wollte nur, daß dir nichts zustößt. Von mir aus mußtest du keine Katze werden.«
»Und was war damals, als ich mich in die Kinderfrau Verwandelt habe? Du hast mich angeschrien.«
Solanda mußte unwillkürlich lächeln. Erst hatte sie geschrien, und dann hatte sie gelacht. Ariannas Verspieltheit hatte Solanda immer wieder in Schwierigkeiten gebracht, und Solanda hatte noch mehr Ärger vermeiden wollen. »Denk mal nach«, sagte sie leise. »Wenn ein Kind aussehen kann wie seine Kinderfrau, würde niemand es jemals bestrafen.«
»Später habe ich verstanden, warum du mich angebrüllt hast«, gab Arianna zu. »Aber damals habe ich gedacht, du willst bloß alles kontrollieren, was ich tue.«
»Ich wollte dich nicht kontrollieren«, widersprach Solanda. »Du warst noch ein Kind. Weißt du nicht, wie oft du bei deinen Verwandlungen fast gestorben wärst?«
»Öfter, als du mitgekriegt hast.«
Solanda schnappte nach Luft. Daran hatte sie nicht gedacht. Arianna hatte sich schon seit Jahren ohne Solandas Hilfe in andere Gestalten Verwandelt. So etwas sollte ein Kind nicht tun.
»Es ist normal, daß ein Gestaltwandler alle möglichen Gestalten ausprobiert, bevor er sich für eine entscheidet«, verteidigte sich Solanda. »Erst nach und nach wird diese Gestalt dann seine einzige. Ein Gestaltwandler kann sich entweder unzulänglich in Dutzende Gestalten Verwandeln oder perfekt in eine einzige.«
»War mein Rotkehlchen etwa unzulänglich?« fragte Arianna.
Solanda wandte den Blick ab und schaute durch das Fenster in den klaren Himmel. Die Sonne ging langsam unter, und goldene Wolken trieben über dem Fluß.
»Nein«, gab sie schließlich zu. »Außer, daß du nicht damit gerechnet hast, plötzlich von einer Katze angegriffen zu
Weitere Kostenlose Bücher