Fey 05: Der Schattenrpinz
zitterte. Er zog seinen Sohn – oder das, was er noch bis vor wenigen Augenblicken für seinen Sohn gehalten hatte – an sich und umarmte ihn innig. Sebastians Haut war immer schon unnatürlich kalt und hart gewesen. Erstaunlich, wofür Nicholas alles seine Vereinigung mit Jewel verantwortlich gemacht hatte, statt es zu hinterfragen.
»Sie haßt dich nicht«, murmelte er beruhigend. »Sie ist nur ein bißchen durcheinander.«
Sebastian zog zischend die Luft ein. »Haßt … du … mich?«
Das war in der Tat die entscheidende Frage, dachte Nicholas. Er legte seinen Kopf an Sebastians Schulter. Er konnte sich ein Leben ohne den Jungen nicht mehr vorstellen. Nicht mehr. Nicht nach so vielen Jahren.
»Ich liebe dich, mein Sohn«, sagte er. »Ich liebe dich schon, seit du ein kleiner Junge warst, und das wird sich nie ändern.«
Ein Zittern durchlief Sebastian. Dann hob er den Kopf. Er war größer als Nicholas. Nicholas fragte sich, ob sein eigener Sohn, sein blutsverwandter Sohn, wohl ebenso groß war. »Muß … ich … dann … gehen?«
»Wer sagt, daß du gehen mußt?«
»Gabe …«
»Gabe scheint anderer Ansicht zu sein als wir übrigen. Du bist mein Sohn, Sebastian. Du bleibst bei mir.«
»Ari?«
»Arianna wird dir verzeihen, sobald sie erkennt, daß es nicht deine Schuld war. Sie ist noch jung, Sebastian. Sie glaubt, sie weiß eine Menge, aber das stimmt nicht.« Und das wiederum war Nicholas’ Schuld. Er hatte sie beschützt und verhätschelt, weil er geglaubt hatte, sie dadurch stärker zu machen. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Vielleicht hatte sie es deshalb nur um so schwerer, sich in der Welt zurechtzufinden.
Nicholas tätschelte Sebastians Wange und entzog sich behutsam seiner Umarmung. Solanda hatte die Augen einen Spalt geöffnet. Katzenaugen, fremd und hinterlistig.
Kalt.
Aber auch Nicholas konnte kalt sein. »Was hast du meiner Tochter heute nachmittag angetan?«
»Nichts«, erwiderte Solanda mit ausdrucksloser Stimme.
»Woher hat sie diese Wunden?«
»Sie wollte Gabe angreifen. Ihm die Augen aushacken. Ich war in meiner Katzengestalt. Ich habe sie auf die einzige Weise davon abgehalten, die mir zur Verfügung stand.«
»Sie ist verletzt.«
»Nur oberflächlich. Ich habe darauf geachtet, ihr keinen ernsthaften Schaden zuzufügen.«
»Warum hast du den Jungen beschützt? Er hat unrecht getan.«
Solanda seufzte. »Sind alle Inselbewohner so begriffsstutzig?« Sie stieß sich vom Kaminsims ab.
Nicholas packte ihren Arm so fest, daß seine Finger Abdrücke hinterließen. Erst jetzt merkte er, wie wütend er war. »Du gehst nirgendwohin. Du wirst mir jetzt genau erzählen, was hier eigentlich los ist. Du hast meine Tochter verletzt.«
»Um Euren Sohn zu retten.«
»Falls er überhaupt mein Sohn ist.«
»Oh, das ist er schon, keine Sorge«, gab Solanda zurück. Sie schüttelte ihren Arm, um sich zu befreien. Nicholas packte nur noch fester zu. »Ihr tut mir weh«, beklagte sich Solanda.
»Ich werde dir gleich noch mehr weh tun, wenn du nicht tust, was ich sage.«
»Oooh«, spottete sie. »Der große König droht mir.«
»Solanda«, warnte Nicholas.
»Gut.« Sie wandte ihm den Kopf zu. Ihre Augen waren nur noch Schlitze, wie die einer Katze. Arianna hatte nie solche Augen. Vielleicht war schon das ein Hinweis auf ihre besonderen Fähigkeiten. »Die Schamanin hat Euch erklärt, was passiert, wenn Schwarzes Blut sich gegen Schwarzes Blut wendet. Und Jewel wird es Euch auch gesagt haben, da bin ich sicher!«
»Arianna wußte das nicht.«
»Das spielt keine Rolle.«
»Und sie hat nicht versucht, ihn umzubringen!«
Solanda schüttelte den Kopf. »Sie wollte ihm die Augen aushacken. Glaubt Ihr, sie hätte danach aufgehört?«
»Meine Tochter würde niemanden töten!«
»Eure Tochter ist eine Fey. Sie tut, was zu tun ist.« Solanda befreite endlich ihren Arm. »Gabe ist Euer Sohn, jedenfalls dem Blut nach. Und überraschenderweise auch der Klumpen, auf seine Art. Er trägt Gabe in sich, und das macht ihn – wirklich genug, nehme ich an.« Sie blickte von Nicholas zu Sebastian. Dann rieb sie übertrieben ihren Arm. »Sagt Arianna, daß ich gehe. Sie braucht mich anscheinend nicht mehr. Und Ihr auch nicht. Ihr habt genug andere Diener.«
Nicholas überhörte die Spitze. Er hatte nicht vor, sich zu entschuldigen. Er war viel zu wütend. »Was ist mit der Vision? Der, in der Sebastian stirbt?«
»Was soll schon sein?« fragte Solanda zurück. »Wir müssen alle
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