Fey 07: Die Augen des Roca
selbst das kleinste Mienenspiel ihm höllische Schmerzen verursachte. »Das wäre mir schon recht«, entgegnete er, »aber ich habe über etwas anderes nachgedacht.«
Er war nicht bereit, Tri seine geheimsten Gedanken über den Tabernakel mitzuteilen. Er sprach mit fast niemandem über seine Vergangenheit.
»Ich mache mir Sorgen wegen dieser Großen«, sagte er. »Wenn es wirklich Fey sind, steht Constantia eine Menge Ärger bevor. Die Fey pflegen nicht paarweise unterwegs zu sein. Sie reisen fast niemals ohne eine große Armee. Wenn diese Leute Kundschafter waren, können wir vielleicht …«
»Also willst auch du sie töten«, unterbrach ihn Tri kopfschüttelnd. »Ist das die einzige Antwort, die die Leute hier auf Fremde haben?«
Matthias fröstelte. Nach Jewels Tod hatte Nicholas ihn einen Mörder genannt. Und in gewisser Weise war er das auch. Er hatte Dutzende Fey getötet, und es hatte ihm kaum etwas ausgemacht.
War er denn keinen Deut besser als die Leute, die ihn als Neugeborenen auf einem Berggipfel ausgesetzt hatten?
»Was schlägst du vor?« fragte er.
»Ich schlage vor, daß wir die Fremden suchen«, erwiderte Tri. »Wir sollten herausfinden, was sie wollen, warum sie hier sind und ob wir ihnen irgendwie helfen können.«
»Warum sollten wir ihnen denn helfen?« fragte Matthias.
»Warum nicht?«
»Wenn es Fey sind …«
»Wenn es wirklich Fey sein sollten, werden wir die Konsequenzen ziehen. Wenn nicht, können wir sie wenigstens vor den Weisen warnen.« Tris Augen wurden schmal. »Ich dachte immer, du wärst ein guter Mensch, Matthias.«
»Wie meinst du das?« fragte Matthias. Sein Mund war wie ausgedörrt. Diese Frage konnte er unmöglich direkt beantworten.
»Ein guter Mensch, ein Gottesmann, würde versuchen, anderen zu helfen. Genau das lehren uns doch die Worte, oder?«
»Aber sie lehren uns auch, uns zu schützen«, gab Matthias zurück. Er holte tief Luft und stieß sie zischend durch die Zähne wieder aus. »Du hast noch keine Fey gesehen. Du weißt ja nicht, wozu sie fähig sind. Sie haben ganz Jahn niedergebrannt und die meisten Einwohner getötet. Sie sind blutdürstig und mächtig, und sie zerstören alles, wofür die Blaue Insel steht. Sie haben sogar den Tabernakel angezündet.«
Tri riß die Augen auf. Natürlich hatte er davon noch nichts gehört. Niemand hier wußte das. Dieser Ort war zu abgelegen und die Dorfbewohner zu mißtrauisch gegenüber Fremden.
»Und der Rocaan?«
»Der ist tot.«
Endlich ließ sich Tri auf den Stuhl sinken, den Matthias ihm angeboten hatte. »Also bist du jetzt der Rocaan.«
»Nein«, erwiderte Matthias. »Ich bin zurückgetreten.«
»Ich glaube nicht, daß du das kannst«, wandte Tri ein. »Die Geheimnisse …«
»Dienen vielleicht nicht der Religion«, fiel ihm Matthias ins Wort.
»Was soll das nun wieder heißen?« fragte Tri.
»Ich bin mir noch nicht ganz sicher«, wich Matthias aus. »Deswegen wollte ich ja das Varin von dir haben.«
Tri kratzte sich am Kopf. »Wenn der Rocaanismus wirklich tot ist, was wird dann als nächstes passieren?«
»Ich habe nicht gesagt, daß der Rocaanismus tot ist«, berichtigte Matthias. »Ich habe gesagt, der Tabernakel ist abgebrannt und der Rocaan tot.«
»Aber das ist doch dasselbe wie die Religion.«
Matthias hätte fast gelächelt, erinnerte sich aber rechtzeitig und unterdrückte den Impuls. »Dieser Satz aus dem Munde eines Weisen? Höchst interessant.«
»Oh, du glaubst also, daß sich die Weisen erheben und eine neue Religion gründen werden?«
»Ich glaube, daß der Tabernakel den Rocaanismus befleckt und ihn nach seinen eigenen Wünschen umgeformt hat. Ich glaube, daß die Religion jetzt womöglich zu ihrer ursprünglichen Reinheit zurückfinden kann.«
»Mit dir an der Spitze«, ergänzte Tri.
Matthias schüttelte den Kopf. »Nein. Ich repräsentiere weder den Tabernakel noch die Religion. Ich bin lediglich im Besitz der Geheimnisse. Du mußt mir helfen, Tri. Bring mir mehr Varin, und wir werden versuchen, den Rocaanismus nach unseren Vorstellungen neu zu erschaffen.«
Tri runzelte die Stirn. »Klingt gefährlich«, murmelte er.
»Es wäre auch gefährlich, wenn der Tabernakel noch existierte«, nickte Matthias beipflichtend. »Aber er existiert nicht mehr.«
Tri fuhr sich nachdenklich über das Kinn. Dann schlug er sich mit der flachen Hand aufs Knie. »Ich beschaffe dir mehr Varin, aber nur unter einer Bedingung. Hilf du mir, die langen Fremden zu finden. Hilf mir, sie vor
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