Fey 07: Die Augen des Roca
scheußlich zu jucken. Marly behauptete, das Jucken sei ein gutes Zeichen, ein Zeichen der Heilung.
Matthias verabscheute es.
Er verabscheute auch den Anblick seines Gesichts in dem silbrigen Glas, das in seinem geräumigen Schlafzimmer hing. Die Wunden verliefen vom Haaransatz bis zum Unterkiefer, zerschnitten seine Wangen in zwei Hälften und verfehlten sein rechtes Auge nur um ein Haar. Der Faden, mit dem Marly sie genäht hatte, war außen verknotet, so daß Matthias aussah wie ein schlampig geflicktes Stück Stoff. In Ruhestellung verzog sich sein Mund nach links, und sein linkes Augenlid hing schlaff herab. Er war auch vorher kein besonders schöner Mann gewesen, aber er hatte immerhin ein interessantes Gesicht gehabt.
Jetzt war es noch viel interessanter.
Die anderen waren schon aufgebrochen. Matthias hatte ein paar Münzen aus seinem Versteck gekramt und die Männer mit der strengen Anweisung zum Markt geschickt, Vorräte für mehrere Tage zu kaufen, nicht zu stehlen. Er wußte nicht, was er mit all diesen Leuten anfangen sollte, dieser Bande von Ganoven, die ihm versehentlich das Leben gerettet hatte. In den letzten Jahren hatten sie in den Tunneln gelebt, die Jahn unterirdisch durchzogen, und von dort aus von Geld bis zu Weihwasser aus dem Tabernakel alles gestohlen, was sie in die Finger bekommen hatten. In der Nacht vor der Invasion der Fey hatten sie den sterbenden Matthias am Flußufer gefunden und zu Marly gebracht, damit sie seine Wunden behandelte – offenbar fühlte die Bande sich verantwortlich für Leib und Leben der einfachen Leute. Marly hatte Matthias erzählt, daß sie manchmal sogar ihre Mahlzeiten mit den Bedürftigen teilten.
Nach dem zu schließen, was Matthias bis jetzt gesehen hatte, waren die Diebe aber längst nicht so menschenfreundlich, wie sie glaubten. Mit ihm waren sie nur so schnell warm geworden, weil Marly ihn in Schutz nahm und weil sie Jakibs Schwester war. Jakib war zwar nicht der Anführer der Bande, aber er hatte sie alle zusammengebracht.
Der Anführer war Yasep, der zwar behauptete, Matthias zu akzeptieren, ihn aber in Wirklichkeit nicht leiden konnte.
Immerhin hatte Matthias sie hierher in Sicherheit gebracht. Die Bande hatte eine Zuflucht vor den Fey gesucht, und Matthias wiederum brauchte Leute, die für ihn körperliche Arbeit verrichteten. Die Fey verschanzten sich auf der Blauen Insel. Titus, der Zweiundfünfzigste Rocaan, war tot, und Matthias war der letzte, der die Geheimnisse kannte.
Eines der Geheimnisse war imstande gewesen, Fey zu töten. Matthias mußte herausfinden, ob auch andere Geheimnisse diese Eigenschaft besaßen.
Marly hörte auf, sanft sein Gesicht zu berühren. Schmerz durchzuckte ihn.
»So«, sagte sie, richtete seinen Kopf wieder auf und nahm die Hand aus seinen Locken. Matthias öffnete die Augen. Im Zimmer war es immer noch dunkel, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Trotzdem fingen die Fenster, die Matthias auf der Bergseite des Hauses hatte einbauen lassen, ein wenig Licht ein. Hier hatte Matthias die meiste Zeit seines Exils mit dem Studium des Rocaanismus verbracht. Was er herausgefunden hatte, hatte selbst ihn überrascht. Die frühe Geschichte der Religion war eine Geschichte von Rivalen, von blutigen Kämpfen um die Vorherrschaft. Das war auch einer der Gründe, weshalb die Geheimnisse so geschützt wurden. Früher hatte man gemunkelt, daß derjenige, der sie kannte, unverwundbar sei.
Ein Klopfen ließ Matthias zusammenfahren. Er warf Marly einen fragenden Blick zu, aber die Frau zuckte bloß die Achseln. Matthias stand auf, schob seinen Stuhl beiseite und ging in die Diele.
Nachdem er das Haus in Besitz genommen hatte, hatte er es umgebaut. Ein alter Freund seiner Familie hatte es ihm überlassen, ein älterer, kinderloser Mann, der fand, daß man Matthias in seiner Jugend ungerecht behandelt habe und die Weisen sich gegen ihn versündigt hätten. Als Matthias in den Besitz des Hauses kam, hatte es nur aus einem einzigen Raum bestanden, und er hatte es vergrößert. Das Innere hatte er nach dem Vorbild der Gemächer im Tabernakel eingerichtet: ein Hauptraum mit einem seitlich angrenzenden Schlafzimmer. Nachdem er sich erst einmal in die Geheimnisse vertieft hatte, hatte er den Eingangsbereich angebaut, damit kein Straßenschmutz in seine Wohnräume gelangte. Das zweite Schlafzimmer war erst später entstanden, als Matthias gemerkt hatte, daß er eine Schlafmöglichkeit für Gäste brauchte.
Wieder klopfte es. Matthias
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