Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
daß sich ihr langes Gewand in den dürren Pflanzen verfing, die in dieser fremdartigen Umgebung gediehen. Sie trug ihrer beider Gepäck und Ariannas Stiefel. Kurz vor der Schneegrenze hörte der Bewuchs ganz auf. Dort gab es nur noch Felsen, Erde und Spuren von Lawinen.
Lawinen. Darüber wollte Nicholas lieber nicht nachdenken. Schon mehr als einmal war der Boden unter seinen Füßen ins Rutschen geraten. Den einen Arm schlang er um Ariannas Hüfte, mit dem anderen hielt er das Gleichgewicht. Trotzdem wußte er nicht, ob er sich wieder fangen konnte, wenn er plötzlich stolperte.
Was würde dann mit Arianna passieren?
Als sie die Stelle verlassen hatten, an der der Schwarze König Arianna angegriffen hatte, hatte die Schamanin die Führung übernommen und einen steilen Pfad bergauf eingeschlagen. Wenn Nicholas nach unten blickte, konnte er noch einen zweiten Pfad erkennen, der sich um den Berg wand, breiter und öfter benutzt als dieser Pfad. Aber jenen Pfad schien die Schamanin ganz bewußt zu meiden.
Die alte Frau schien ihr Ziel genau zu kennen.
Nicholas hatte sie sich noch nie so flink bewegen gesehen.
Die Sorgen, die ihn bedrückten, seit er aus dem Palast geflohen war, quälten ihn immer stärker. Womöglich raubte ihm Rugad auf diesem Berg seine Tochter.
Wenn Rugads Überfall auf Ariannas Geist – und ein Überfall war es für Nicholas, ganz gleich, wie die Schamanin es erklärte – seine Tochter das Leben kostete, würde dann jenes Unheil hereinbrechen, vor dem man ihn immer gewarnt hatte? Der Fluch des Schwarzen Blutes?
Kannte der Schwarze König dieses Risiko denn nicht? Oder scherte er sich nicht darum?
Oder war dieser Fluch nur wieder etwas, das die Schamanin erfunden hatte, um Nicholas Angst einzujagen?
Während sie wanderten, ging Nicholas in Gedanken jedes Gespräch durch, das er jemals mit der Schamanin geführt hatte. Oft war die alte Frau begriffsstutzig gewesen, hatte sich manchmal sogar absichtlich so gestellt. Sie hatte zwar gelegentlich angedeutet, daß Sebastian nicht Nicholas’ richtiger Sohn war, aber von Gabes Existenz hatte sie ihm trotzdem nie erzählt.
Allerdings hatte sie ihm immer beigestanden, wenn er in Gefahr gewesen war.
Aber vielleicht steckte hinter all dem eine ganz andere Absicht?
Vielleicht sogar eine feindliche?
Arbeitete die Schamanin in Wirklichkeit etwa immer noch für das Imperium der Fey?
Auch sie war eine Visionärin und konnte Verbindungen bereisen. Sebastian hatte behauptet, er und Gabe hätten sich die ganze Zeit über ihre Verbindung miteinander verständigt. Verständigte sich die Schamanin auf dieselbe Weise mit dem Schwarzen König?
Aber warum hätte sie Nicholas dann vorschlagen sollen, Rugad zu töten?
Vielleicht handelte es sich um eine List, die in Wirklichkeit Arianna aus dem Weg räumen sollte.
Nicholas schüttelte den Kopf. Das war nicht einleuchtend. Keine dieser Überlegungen war besonders einleuchtend. Warum hätte die Schamanin alles aufs Spiel setzen sollen, um Arianna ans Licht der Welt zu verhelfen, wenn sie vorhatte, das Mädchen später umzubringen? Warum hätte sie Nicholas so viel über die Fey verraten sollen, wenn sie nicht trotz allem auf der Seite der Inselbewohner stand? Und warum sollte sie sich dann selbst als Nicholas’ Freundin bezeichnen?
An einer engen Windung des Pfades stolperte Nicholas, fand aber das Gleichgewicht wieder, indem er die freie Hand ausstreckte. Ariannas Körper prallte so heftig gegen seinen Rücken, daß es ihm einen Augenblick lang den Atem verschlug.
Ohnehin kam ihm die Luft hier oben dünner vor. Das Atmen fiel Nicholas immer schwerer, aber er wußte nicht, ob es vielleicht nur an seiner eigenen Erschöpfung lag. Er war nicht an körperliche Anstrengungen gewöhnt, daran, lange Strecken zu laufen oder zu klettern, und schon gar nicht mit einem Mädchen auf dem Rücken, das womöglich größer und schwerer war als er selbst.
Er durfte Arianna jetzt nicht verlieren. Zu diesem Punkt kehrten seine Gedanken immer wieder zurück. Er konnte es nicht ertragen, sie zu verlieren. Er hatte schon alle anderen verloren.
Jewel.
Seinen Vater.
So viele Freunde.
Sogar Sebastian war tot, und sein richtiger Sohn war für Nicholas ein Fremder.
In gewisser Weise hatte er sogar seine Heimat verloren. Die Blaue Insel gehörte ihm nicht mehr. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, sie zurückerobern, würde es nie mehr so sein wie früher.
Die Fey hatten überall Spuren hinterlassen, die auch Nicholas nicht
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