Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
regierten. Wo die Zeit selbst außer Kraft gesetzt wurde, wenn ein Mensch nur tief genug ins Innere der Höhle vordrang.
»Bist du dir ganz sicher?« vergewisserte sich Boteen noch einmal.
Schleier nickte. »Die Sache mit meiner Großmutter war mir peinlich. Ich wollte dir nicht davon erzählen. Ich hatte Angst, du würdest mir nicht glauben.«
Ihre Entschuldigungen und Befürchtungen interessierten Boteen nicht. »Mit wem sprach der Urenkel?«
»Ich weiß nicht. Es sah aus, als unterhielte er sich mit der Luft.«
Wieder eine Bestätigung seiner Theorie, wenn man so wollte. »Ich verstehe. Aber mit wem glaubte er zu sprechen?«
»Mit seiner Mutter«, antwortete Schleier.
»Jewel?« fragte Boteen ungläubig.
Schleier zuckte die Achseln. »Ein Name ist nicht gefallen. Überhaupt keine Namen.«
Mysterien. Es hieß, Mysterien könnten sich nicht mehr als drei Menschen offenbaren. Der größten Liebe des Mysteriums zu seinen Lebzeiten, der Person, die es am meisten gehaßt hatte, sowie einer Person seiner freien Wahl.
»Standen deine Großmutter und du euch sehr nahe?« erkundigte sich Boteen.
Schleier nickte. »Ich habe sie über alles geliebt.«
»Und was empfand sie für dich?«
Schleier lächelte. »Ich war die einzige Familie, die sie noch hatte. Sie sagte immer, sie liebe mich bis zum Wahnsinn.«
Boteen nickte bestätigend. Die größte Liebe. Auch das war nicht wirklich ein Beweis, aber fast genauso gut.
»Du mußt sofort zum Schwarzen König fliegen und ihm berichten, was du gesehen hast. Aber erwähne auf keinen Fall deine Großmutter. Und auch nicht, was sich sonst noch im Inneren der Höhle befindet. Erzähl ihm einfach, daß sich seine beiden Urenkel in dieser entlegenen Gegend mit dem Inselkönig treffen. Hast du mich verstanden?«
»Soll ich Rugad nicht vor der Gefahr warnen?«
»Richte ihm aus, daß ich der Sache auf den Grund gehen werde. Ich gebe ihm Bescheid, sobald wir mehr wissen. Sag ihm …« Boteen hielt inne und dachte nach. »Bitte ihn, uns so viele Soldaten, wie er entbehren kann, zu schicken. Sag ihm, daß hier eine fremde Zauberkraft am Werk ist, deren Quelle wir noch nicht entdeckt haben.«
»Soll er selbst kommen?« fragte Schleier.
Boteen schüttelte den Kopf. Er wollte den Schwarzen König noch nicht hierhaben. Er wußte nicht, was dann passieren würde.
»Das muß Rugad selbst entscheiden«, erwiderte er. »Aber es wäre besser, wenn er wartet, bis wir mehr herausgefunden haben. Kannst du ihm das alles erklären, ohne die Höhle zu erwähnen?«
»Natürlich«, versicherte Schleier.
»Dann flieg«, befahl Boteen. »Flieg los. Und kein Wort zu jemandem außer dem Schwarzen König.«
Schleier nickte ihm zu, schrumpfte und erhob sich in die Luft. Ihr Funke glitzerte im Sonnenlicht wie ein winziger, beweglicher Edelstein.
Ein Ort der Macht, die Schwarze Familie und ein zweiter Zaubermeister, und das alles auf einen Schlag.
Boteen lächelte triumphierend.
Endlich hatte sich das Blatt wieder zugunsten der Fey gewendet.
Es gab nur drei Orte der Macht auf der Welt, und soeben hatten sie den zweiten entdeckt.
Rugad würde höchst erfreut sein.
30
Allmählich fühlte sich Matthias wieder kräftiger. Er erklomm den schmalen Pfad, der immer schwerer zu erkennen war. Hinter sich hörte er das unterdrückte Murren Denis und Jakibs. Tri sagte nichts, ächzte aber gelegentlich, als habe er Schmerzen.
Sie hatten gerade ein Geröllfeld hinter sich gebracht und näherten sich einigen flachen Steinstufen, die aussahen, als hätten sie einst zu einer Treppe gehört. Vor Jahrzehnten, vielleicht sogar vor Jahrhunderten, hatte dann eine Lawine den größten Teil der Treppe verschüttet.
Matthias mußte beide Arme zu Seite ausstrecken, während er kletterte, um die Balance nicht zu verlieren, aber das machte ihm nichts aus. Der Drang, den er fühlte, war stärker als je zuvor und trieb ihn zur Eile. Er wußte, daß die Fey vor ihm waren, aber das war nicht der Grund.
Es war der Schimmer selbst, der ihn mit solcher Macht anzog.
Über sich glaubte er andere Stimmen zu hören, bekannte Stimmen. Eine davon klang sogar wie die von Nicholas, obwohl Matthias wußte, daß das unmöglich war. Nicholas würde sich nie so weit von Jahn entfernen und in eine so gefährliche Gegend begeben.
So weit weg von seinen halbblütigen Kindern.
Die Sonnenstrahlen trafen Matthias jetzt mit voller Kraft, aber sie wärmten nicht. Je höher er stieg, desto kälter wurde ihm. Über ihm flackerte
Weitere Kostenlose Bücher