Fey 09: Die roten Klippen
Räume dort strahlten gute Schwingungen aus, wie es einer von ihnen formulierte, überwältigende Freundlichkeit und Zuneigung lagen in der Luft. Hier befanden sich einige der ehemaligen Gemächer des Königs und die Räume der übrigen Familienmitglieder. Es waren hübsche Zimmer, die meisten mit Blick auf den Palastgarten, und auch die Kinderzimmer strahlten dieselbe Wärme aus.
Seger wußte Wärme zu schätzen. Sie war Rugads persönliche Heilerin, verrichtete aber auch andere Domestikentätigkeiten. Sie war fast ständig mit irgendeiner Näh- oder Reparaturarbeit beschäftigt. Dabei konnte sie sich angenehm entspannen. Die Heilkunst aber war ihr größter Schatz, den sie eifersüchtig hütete. Erst nach jahrzehntelanger Erfahrung auf diesem Gebiet war sie zur persönlichen Heilerin des Schwarzen Königs ernannt worden. Seither ließ sie keinen anderen Heiler in seine Nähe.
Allerdings war diese ehrenvolle Aufgabe in letzter Zeit ziemlich anstrengend gewesen. Rugads Zustand stand in direkter Verbindung mit ihrem eigenen. Wenn er an einer Verwundung oder einer Krankheit starb, würde sein Nachfolger Seger höchstwahrscheinlich umbringen lassen. Seger war sich dieses Risikos durchaus bewußt. Die Mitglieder der Schwarzen Familie waren zwar nicht unsterblich, standen aber in diesem Ruf. Deshalb konnte nur jemand anders ihren Tod verschuldet haben. Rugad hingegen schien es in letzter Zeit geradezu darauf abgesehen zu haben, sich zu ruinieren.
Seger hatte sich in den früheren Kinderzimmern niedergelassen. In dem größeren Raum gab es einen Kamin, im kleineren ein Bett. Das Kaminzimmer hatte Seger zu ihrem Arbeitsraum umfunktioniert. Dort brauten sie und einige untergeordnete Heiler ihre Tränke und führten kleinere Behandlungen durch. In das Schlafzimmer allerdings ließ Seger niemanden hinein. Es war ihr Zufluchtsort, ihre Höhle. Der einzige Ort, den sie ganz für sich allein hatte.
Das war das größte Vorrecht, das sie als Heilerin des Königs genoß. Sie brauchte nicht mit den übrigen Domestiken in einem Zimmer zu schlafen. Sie wurde von ihnen auch sonst als Höhergestellte angesehen, so daß Seger sich manchmal fragte, ob sie ihr Privileg womöglich mißbrauchte.
Es war ein ruhiger Nachmittag. Die meisten Verwundeten der Schlacht um Jahn waren versorgt. Ein paar Soldaten lagen noch im Lazarett, das man in den Baracken der Palastwachen eingerichtet hatte. Obwohl Seger nicht die zuständige Heilerin war, sah sie regelmäßig nach ihnen. Aber sie kümmerte sich auch um Kleinigkeiten wie Schnitt- und Schürfwunden. Denn die Soldaten erzählten ihr entweder selbst oder durch ihre Wunden Geschichten, über die man sonst zu schweigen pflegte.
Seger wußte, in welcher Verfassung die Mehrheit der Fey war, und sie hatte Rugad gewarnt. Die Fey waren beunruhigt. Die Fey hatten Angst.
Seger war da keine Ausnahme.
Darum zog sie sich auch meistens in ihre Räumlichkeiten zurück. Auch jetzt stand sie in ihrem Schlafzimmer am Fenster und ließ den Blick über den Garten schweifen. In den wenigen Wochen, seit der Palast den Fey gehörte, hatten die Gärten sich von gepflegten Oasen der Schönheit in wahre Wüsten verwandelt. Die meisten Vögel waren geflohen. Die Zurückgebliebenen schienen zwischen den zertrampelten Pflanzen nach etwas Bestimmtem zu suchen. Sie pflügten die Erde mit ihren Schnäbeln um, als versuchten sie, ihre zerstörte Heimat wiederaufzubauen.
Eigentlich ging es Seger ähnlich. Auch sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so heimatlos gefühlt. Die wilde Magie dieses Landes, die schon so viel Schaden unter den Fey angerichtet hatte, war ihr ebenso unheimlich wie die Verwundung des Schwarzen Königs.
Das alles schienen ihr böse Vorzeichen zu sein.
Derartig schwere Verletzungen hatte Rugad sich in all den Jahren, die ihn Seger nun schon betreute, noch nie zugezogen. Der Schwertstoß in die Kehle, den ihm König Nicholas versetzt hatte, hätte einen weniger zähen Mann auf der Stelle umgebracht. Rugad war die ganze Zeit über geistig hellwach gewesen, auch wenn er nicht sprechen konnte. Seger und sechs andere Heiler hatten fast einen ganzen Tag gebraucht, um den schlimmsten Schaden zu beheben. Aber sie hatten ihre Arbeit nicht richtig zu Ende führen können. Rugads Kehlkopf hatte so gelitten, daß er keinen Ton herausbrachte. Eine solche Wunde konnte nur auf natürliche Weise heilen. Aber Rugad fand diesen Zustand so unerträglich, daß er nach einer Ersatzstimme verlangt hatte. Seger hatte den
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