Fey 09: Die roten Klippen
abwehrend die Hand. Sie hatte es bis hierhin geschafft, sie würde auch den Rest noch schaffen, schien ihre Geste zu besagen.
»Ich bringe Nachricht von Ay’Le.«
Rugad verschränkte die Hände hinter dem Rücken und unterdrückte den Impuls, ihr einen Stuhl anzubieten. Die Irrlichtfängerin hatte recht: Wenn sie sich jetzt ausruhte, hatte sie vielleicht keine Kraft mehr, weiterzusprechen. Auch Rugad kannte derartige Erschöpfungszustände und wußte, wie man sich dabei fühlte.
»Wir haben bei den Blutklippen eine bittere Niederlage erlitten.«
Rugad hatte es vom ersten Augenblick an gewußt, aber er hatte es sich nicht eingestehen wollen. »Eine Niederlage?« wiederholte er.
»Die Inselbewohner verfügen über wilde Magie«, fuhr die Irrlichtfängerin fort. »In jener Gegend ist sie besonders stark.«
Rugad schwieg. Mit einer Niederlage hatte er nicht gerechnet. Er hatte darauf vertraut, daß er einfach nur Ay’Le zu den Blutklippen zu schicken brauchte, damit sie die Bewohner der Gegend behexte und seine Truppen anschließend die Stadt besetzen konnten.
»Ich dachte, ein Angriff war gar nicht vorgesehen«, bemerkte er.
Wieder neigte Wirl leicht den Kopf. »Wir waren leider gezwungen, unsere Pläne zu ändern«, erklärte sie. »Der Zaubermeister Boteen hat Ay’Les Arbeit behindert. Er hat selbst mit den Dorfbewohnern gesprochen und sie vor den Kopf gestoßen. Und dann war da heute morgen noch diese … Sache. Ein schlagartiger Verlust von Magie.«
»Ich weiß«, sagte Rugad. »Wir haben es hier ebenfalls gespürt.«
Jetzt wurde ihm plötzlich klar, warum Wirl am Ende ihrer Kraft war. Abgesehen von dem anstrengenden Flug in höchster Geschwindigkeit, den schon Schleier kaum bewältigt hatte, verfügte Wirl über keinerlei magische Reserven mehr.
Rugad mußte unbedingt dafür sorgen, daß sich die Domestiken bevorzugt um sie kümmerten und daß sie eine Belohnung erhielt. Sie war eine sehr fähige Irrlichtfängerin.
Jetzt sah sie ihn an. »Wurde diese Erscheinung denn nicht von den Inselbewohnern verursacht?«
»Doch, schon«, gab Rugad zurück. »Aber südlich von hier, nicht in den Blutklippen.«
»Die Inselbewohner haben einen Vorrat Lederbeutel angezündet«, ergänzte Selia.
»Oooh.« Es klang fast erleichtert. Rugad erschrak, denn das bedeutete, daß die Fey den Inselbewohnern bereits weitreichendere Fähigkeiten zuschrieben, als es der Wirklichkeit entsprach.
Wieder musterte Rugad die Irrlichtfängerin. Wirl holte tief Luft und wurde noch blasser. Sie streckte die Hand aus und ließ es zu, daß Selia sie ergriff und sie stützte. Ihre Flügel zuckten kraftlos.
»Komm schon«, versuchte Selia sie zu überreden. »Setz dich.«
»Nein«, flüsterte Wirl. »Ich bin noch nicht fertig.« Sie umklammerte zwar Selias Hand, rührte sich aber nicht von der Stelle. »In den Blutklippen gibt es einen magischen Ort. Boteen hat ihn aufgesucht.«
»Ich weiß«, sagte Rugad.
»Er überließ es Ay’Le, seinen Patzer auszubügeln. Sie sollte erst kämpfen, wenn sie keine andere Wahl mehr hatte.«
»Ich verstehe«, murmelte Rugad.
»Aber diese … Sache … heute morgen hat die Soldaten völlig verwirrt. Licia, die Befehlshaberin der Infanterie, hat Ay’Le das Kommando entrissen und die Stadt bei Morgengrauen angegriffen. Nur mit der Infanterie, die anderen Soldaten sollten sich erholen. Erst ging alles gut, aber dann …«
Wirls Stimme brach. Selia trat besorgt einen Schritt auf sie zu. Die Irrlichtfängerin beachtete sie nicht. Auch Rugad blieb stehen, wo er war.
»Und dann?« fragte er bloß.
»Die Inselbewohner haben eine Art Bannfluch ausgesprochen. Unsere Leute sind sofort stehengeblieben, aber diejenigen, die der Fluch bereits getroffen hatte, wurden von den Inselbewohnern niedergemetzelt. Als Licia klar wurde, daß wir keine Chance hatten, hat sie den Rückzug befohlen. Aber trotzdem haben wir fast eine ganze Truppeneinheit verloren.«
Eine ganze Einheit. Wegen eines Bannfluchs. Die Inselbewohner mußten wahrhaftig über ungewöhnliche magische Fähigkeiten verfügen, um eine ganze Einheit Fey auf einen Schlag kampfunfähig zu machen, auch wenn es sich um Infanteristen handelte, die noch nicht im vollen Besitz ihrer Zauberkräfte waren.
»Ay’Le hat mich sofort losgeschickt. Sie bittet um Verstärkung, Soldaten, die über Magie verfügen, und zwar so viele, wie du nur entbehren kannst. Sie befürchtet, es wird erneut zu einer offenen Schlacht kommen, und die Fey werden arge Probleme
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