Fey 09: Die roten Klippen
Kehlkopf wieder entfernen und die Muskeln neu zusammenflicken müssen. Rugads neue Stimme war nur eine blasse Imitation seiner früheren, und das Sprechen tat ihm weh. Aber er benutzte die Stimme trotzdem. Seger zuckte jedesmal zusammen. Jedes Wort, das Rugad jetzt sprach, verringerte die Chancen, seine frühere Stimme jemals wiederzubekommen.
Seger wußte noch nicht einmal ganz genau, ob Rugad seine frühere Stimme noch besaß. Sie hatte sie ihm in einem kleinen, verschlossenen Gefäß überreicht, das er sich um die Hüfte gebunden hatte, damit es niemand entwenden konnte. Als Seger Rugads Wunden von der Explosion des Golems versorgt hatte, war das Gefäß nicht mehr dagewesen, statt dessen hatte sie mehrere Schnittwunden an Rugads rechter Hüfte, wo er das Gefäß getragen hatte, entdeckt.
Seger schüttelte den Kopf. Der Golem. Er war der eigentliche Grund für ihre Nervosität, und das schon seit Tagen. Seger bewahrte einige Stücke des seltsamen Geschöpfs, die sie aus Rugads Hüfte gezogen hatte, auf einem kleinen Tisch neben ihrem Bett auf. In der ersten Nacht hatte sie die Splitter zu einem kleinen, dreieckigen Berg aufgetürmt und den kleinsten Splitter auf dessen Spitze gelegt. Am nächsten Morgen war der Berg zusammengefallen und bildete ein perfektes Quadrat auf der hölzernen Tischplatte.
Golems hatten Seger schon immer beunruhigt, wahrscheinlich, weil sie mehr über sie wußte als die meisten Heiler. Immer wieder in der Geschichte der Fey hatte es im Umkreis des Schwarzen Throns Golems gegeben. Seger hatte sich ausgiebig mit der Geschichte und den geheimen Heilmethoden vergangener Zeiten beschäftigt, was ihr letztendlich zu dem Amt verholfen hatte, das sie jetzt bekleidete. Ein Amt, von dem sie nicht mehr wußte, ob sie es eigentlich noch wollte.
Sie gestand sich ein, daß sie befürchtete, Rugad müßte sterben.
Schon die Halswunde hatte ihn fast umgebracht, aber der Angriff des Golems war nicht zu unterschätzen und die Wunden ernster, als Seger Rugad hatte merken lassen. Rugad hatte sich zwei Rippen gebrochen und zahlreiche Schürfwunden zugezogen. Aber das bereitete Seger weniger Sorgen als die Schnitte.
Aus diesen Schnitten hatte sie die Splitter des Golems entfernt, die möglicherweise ein magisches Gift in Rugads Körper verbreitet hatten. So etwas war schon anderen Leuten zugestoßen, die während der Explosion eines Golems zufällig in der Nähe gewesen waren, aber Seger wußte nicht, was man gegen die Folgen unternehmen konnte. Sie war sich nicht einmal ganz sicher, was die Symptome betraf. Und deshalb hatte sie auch die Splitter an sich genommen, wie sie Rugad erklärt hatte.
Sie hatte ihm allerdings nicht die ganze Wahrheit gesagt.
Seger wandte sich vom Fenster ab und ging zum Bett hinüber, setzte sich auf das weiche Polster und betrachtete den Tisch. Sie hatte alles außer den Steinen weggeräumt. Die Steinsplitter bildeten genau wie am Morgen ein perfektes Quadrat, obwohl die einzelnen Splitter verschieden groß waren. Hätte Seger sie in diese Form legen müssen, wäre sie schier verzweifelt. Es sah aus, als hätte jemand ein Puzzle zusammengesetzt, das die Form eines perfekten Quadrates ergab.
Aber sie hatte auch das Gefühl, als wollte ihr jemand eine Botschaft hinterlassen.
Seger wußte, daß kein Fey diesen Raum je ungebeten betrat. Sie war schließlich Domestikin, und ohne ihre Erlaubnis in ihre Privatsphäre einzudringen war gefährlich. So mancher war danach nie wieder ganz der alte gewesen, falls der Domestike seine Entschuldigung nicht akzeptiert hatte. Die meisten Fey waren zwar nicht besonders zimperlich in bezug auf körperliche Beschwerden, dafür wußten sie echtes Wohlbefinden um so mehr zu schätzen.
Nein. Wenn es sich wirklich um eine Botschaft handelte, stammte sie nicht von den Fey. Höchstens von den Mysterien selbst.
Man sagte, Golems würden von den Mysterien erschaffen. Seger glaubte allerdings nicht an diese Erklärung. Golems waren leicht herzustellen und ebenso leicht zu zerstören. Jeder beliebige Visionär konnte den Stein eines Domestiken mit seinem Geist tränken und ihn dadurch zum Leben erwecken.
Allerdings hatten nur eine Handvoll Golems in der Geschichte der Fey wirklich ein eigenes Leben geführt. Einer von ihnen hatte Rugads Großvater gehört. Dieser Golem hatte sogar so viel Lebenskraft besessen, um seinerseits einen weiteren Golem zu erschaffen. Der erste Golem hatte noch dreißig Jahre nach dem Tod von Rugads Großvater gelebt und
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