Fey 09: Die roten Klippen
zuerst«, meinte sie dann.
Gabe streckte die geöffnete Hand mit der Innenfläche nach oben aus und schloß die Augen. Nach wenigen Sekunden erschien auf seiner Handfläche ein kleiner Kasten.
Jewel stieß zischend die angehaltene Luft aus. Dann drehte sie sich nach Nicholas um. »Jetzt soll es Arianna versuchen.«
»Ari«, sagte Nicholas. »Kannst du das auch?«
»Ich habe noch nicht lange genug geübt«, wich Arianna aus.
»Macht nichts. Versuch es einfach.«
Gabe öffnete die Augen und betrachtete ungläubig den Kasten auf seiner Hand.
Arianna holte tief Luft, dann schloß auch sie die Augen. Sie streckte die linke Hand mit der Handfläche nach oben aus und legte die Stirn vor Konzentration in Falten.
»Ganz ruhig«, flüsterte Gabe ihr zu. »Denk daran, was ich dir gesagt habe.«
Ari schluckte wieder, und die Falten auf ihrer Stirn wurden noch tiefer. Dann riß sie die Augen auf. »Ich kann das nicht …«
Während sie noch sprach, bildete sich auch auf ihrer Handfläche ein winziger Kasten.
»Ich hab’s geschafft!« rief sie aus.
»Gerade, als du aufgeben wolltest«, setzte Gabe hinzu. Sie lächelten einander an. Coulter blickte auf die beiden herunter, als erteilte er ihnen seinen Segen.
»Sie sind nicht verletzt«, flüsterte Nicholas Jewel zu. Dann bemerkte er aus dem Augenwinkel Adrian, der auf dem oberen Treppenabsatz stand.
»Wir dürfen diese Gegenstände nicht ausprobieren, solange sich jemand mit Fey-Blut in der Höhle befindet«, sagte der Inselbewohner streng.
»Eins nach dem anderen«, unterbrach ihn Nicholas. »Erst möchte ich wissen, was ihr beiden gespürt und gesehen habt.«
Arianna und Gabe wechselten einen Blick. Sie sahen einander so ähnlich, daß Nicholas eine Gänsehaut bekam.
»Es war wie …«
»… etwas hat sich in meine Augen gebrannt …«
»… und es war furchtbar hell …«
»Ich habe nur noch das Licht gesehen.«
»Und dann nichts mehr.«
»Genau. Absolut nichts.«
»Und als es aufhörte …«
»Dauerte das Brennen noch einen Moment lang an …«
»Und dann hörte es schon wieder auf.«
»Aber ich traute mich nicht, mich zu bewegen. Der Schmerz war noch da …«
»Als hätte ich an einem heißen Tag zu lange in die Sonne geblickt …«
»Sonne, die auf dem Wasser funkelt …«
»Und ich hatte Angst …«
»Ich könnte nie mehr …«
»Sehen.«
Das letzte Wort sprachen sie wie aus einem Mund. Davor hatten sie sich abgewechselt, als wüßten sie schon im voraus, was der andere sagen wollte. Coulter hatte die Hände von Ariannas Schultern genommen und starrte sie mit offenem Mund an. Auch Jewels Mund stand offen. Adrian hatte sich auf der obersten Treppenstufe niedergelassen, als sei ihm plötzlich alles zuviel geworden.
Nicholas glaubte nicht, daß seine Kinder merkten, wie sie redeten und wie perfekt sie sich aufeinander abgestimmt hatten. Er hielt es nicht für klug, sie jetzt schon darauf hinzuweisen.
»Aber jetzt habt ihr keine Schmerzen mehr?«
»Nein«, bestätigte Arianna.
»Was glaubt ihr, wäre passiert, wenn ich die Kugel noch länger in der Hand gehalten hätte?« fragte Nicholas.
»Dann wären wir jetzt blind«, erwiderte Gabe.
»Welche Art von Sehkraft hättet ihr verloren?« mischte sich Jewel ein.
»Ich weiß nicht«, entgegnete Gabe zögernd. »Vielleicht nur die körperliche.«
»Hat sie wieder über visionäre Kraft gesprochen?« erkundigte sich Arianna.
Gabe nickte.
»Es hat sich angefühlt, als würde mir das Brennen durch die Augen direkt ins Gehirn dringen. Der Schmerz war noch etwas anderes«, meinte Arianna.
Jewel biß sich auf die Unterlippe. Sie streckte die Hand nach Ariannas Gesicht aus, hielt aber inne. »Gabe«, bat sie. »Frag deine Schwester, ob sie sich noch verwandeln kann.«
»Warum sollte sie das nicht mehr können?«
»Frag sie.«
Gabe gehorchte.
»Ich weiß nicht, ob du es versuchen solltest«, wandte sich Nicholas an Arianna, bevor sie antworten konnte. »Denk daran, wie erschöpft du bist.«
Arianna erwiderte seinen Blick. »Ich will es wissen«, sagte sie fest.
»Aber sei vorsichtig«, warnte Coulter.
Arianna senkte den Blick auf ihre Hand mit dem kleinen Kasten. Die Hand verwandelte sich in eine kleine Pfote. Der Kasten purzelte auf den Fußboden. Dann verwandelte sich die Hand zurück.
»Alles in Ordnung«, sagte Arianna leise.
Nicholas stieß einen erleichterten Seufzer aus und zog seine Tochter an sich. Sie fühlte sich furchtbar zerbrechlich an. Er sah über ihre Schulter, daß Gabe
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