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Fey 09: Die roten Klippen

Fey 09: Die roten Klippen

Titel: Fey 09: Die roten Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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pflichtschuldigst mit der Sprache der Nye herumgeschlagen, aber auch nur, weil er eines Tages König sein würde. Damals hatte er gedacht – hatte jeder gedacht –, daß die Handelsbeziehungen zu Nye für alle Zeit andauern und die Fey auf dem Kontinent Galinas haltmachen würden.
    Wie sehr sie sich alle geirrt hatten!
    Auf dem Teppich tauchten noch andere Symbole auf. Schwebende Lichtkugeln über dem Fluß, weitere Kelche und Schalen und ein Fläschchen, das aussah, als enthielte es Weihwasser. Der Fluß schien ausgehend von der Kirche in der Mitte des Teppichs in beide Richtungen zu fließen.
    »Verstehst du irgend etwas?« wandte Nicholas sich an Adrian.
    Adrian kniff die Augen zusammen. »Ich habe mich gerade gefragt, ob es vielleicht eine Art Landkarte ist«, erwiderte er.
    Nicholas musterte den Teppich und runzelte die Stirn.
    »Eine Landkarte?« fragte er.
    Adrian nickte. »Der Fluß hat mich auf die Idee gebracht.«
    »Ich dachte, es sei der Cardidas, aber das ist auch alles, was mich daran an eine Landkarte erinnert.«
    »Mich auch«, stimmte Adrian zu. »Aber wenn wir mal annehmen, daß es sich tatsächlich um den Cardidas handelt, müßte der Edelstein unsere Höhle darstellen und die Kirche den Tabernakel.«
    »Aber er befindet sich an der falschen Stelle«, wandte Nicholas ein. »Der Tabernakel ist viel weiter westlich.«
    »Heutzutage schon«, bestätigte Adrian. »Aber war da nicht etwas in der Anfangszeit des Rocaanismus? Eine Art Spaltung? Und befand sich der ursprüngliche Tabernakel nicht exakt im Mittelpunkt unseres Landes?«
    Etwas regte sich in Nicholas’ Gedächtnis. Adrian hatte recht. Es hatte eine Kirchenspaltung gegeben. Genaugenommen hatte es mehrere Spaltungen gegeben, aber die heftigste Auseinandersetzung hatte bereits sehr früh zwischen dem Sohn des Roca und anderen Mitgliedern der aufkeimenden Religion stattgefunden. Der andere Sohn des Roca, der König, hatte die Partei der übrigen Kirchenmitglieder ergriffen, denn es hieß, der zweitgeborene Sohn des Roca, der Gründer des Tabernakels, sei wahnsinnig. Seine Kinder hatten aus dem Tabernakel fliehen müssen, und man hatte nie wieder etwas von ihnen gehört.
    »Wie alt dieser Teppich wohl sein mag?« murmelte Nicholas.
    »Keine Ahnung«, gab Adrian zurück. »Es gibt keine Anhaltspunkte.«
    »Außer dieser verflixten Schrift«, fluchte Nicholas leise. Er wünschte sich, er hätte damals im Unterricht besser aufgepaßt. »Und was hältst du von dem dort, mit dem Roca und den vielen Kelchen?«
    »Der ergibt für mich überhaupt keinen Sinn«, gestand Adrian. »Der dort« – er zeigte auf einen dritten Teppich – »soll wahrscheinlich die Lichter des Mittags darstellen, allerdings auf eine Art, die ich noch nirgendwo anders gesehen habe.«
    Nicholas sah genauer hin. Der Roca stand mit dem Rücken zu einem Abgrund, der sich offensichtlich hier in den Blutklippen befand, denn die Felsen waren rot, abgesehen von jenen Gesteinsbrocken, die hinter dem Roca über den Rand der Klippe in die schäumende Brandung stürzten. Über dem Kopf des Religionsgründers glühte eine gelbe Sonne, aber auch er selbst hielt kleinere Sonnen in beiden Händen und warf sie landeinwärts.
    Nicholas runzelte wieder die Stirn. Als Kind war ihm die Zeremonie der Lichter des Mittags von allen religiösen Ritualen die liebste gewesen. Sie wurde stets am dunkelsten Tag des Jahres abgehalten, der mitten im Winter vom Rocaan selbst bestimmt wurde. Zu Beginn der Zeremonie läuteten die Glocken und riefen alle Gläubigen in den Tabernakel (Nicholas nahm allerdings an, daß die Gläubigen in den ländlichen Gegenden eher in ihre Kirchen strömten), und jedem, der über die Schwelle des Tabernakels trat, wurde eine Glaskugel ausgehändigt. In der Sakristei war es dämmrig, und das Schwert des Roca, das von der Decke herunterhing, wirkte noch größer und bedrohlicher als sonst. Nicholas und seinem Vater war eine besondere Truhe mit etwas größeren Kugeln vorbehalten.
    Der Rocaan erzählte die, wie Nicholas fand, erbauliche Legende, wie der Roca eines Tages, als die Sonne sich verdunkelt hatte, das Licht gebracht und sie alle vor ewiger Finsternis gerettet hatte. Wenn sich die Geschichte dem Ende zuneigte, füllten sich die Kugeln in den Händen der Gemeinde mit Licht.
    Nicholas hatte seinen Vater mit Fragen gequält, wie das funktionierte, aber Alexander hatte eisern geschwiegen.
    Laß dem Tabernakel seine kleinen Geheimnisse, mein Sohn, pflegte er zu sagen. Um so

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