Fey 09: Die roten Klippen
du gemeinsam mit deiner Schwester den Thron.«
Gabes Magen krampfte sich zusammen. Er wollte nicht der Herrscher des Fey-Imperiums sein. Er war nicht dafür ausgebildet.
Er war nicht verschlagen und rücksichtslos genug.
Er blickte Arianna an. Sie sah fahl aus.
Sie verfügte über diese Eigenschaften. Vielleicht war sie sogar zu verschlagen und rücksichtslos.
»Wieso denn?« fragte Gabe. »Deine Brüder sind alle noch am Leben.«
»Bridge?« erkundigte sich Jewel. »Er ist der Tüchtigste unter meinen Brüdern, und trotzdem taugt er nichts. Wenn er in der Lage wäre, die Nachfolge anzutreten, hätte ihn Rugad mit hierher genommen. Nein, Rugad ist um euretwillen gekommen, und das hat er allen Fey deutlich gemacht. Sein Volk weiß, daß meine Kinder ihm eines Tages auf den Thron folgen werden. Wir müssen jetzt nur dafür sorgen, daß es schneller geht, als Rugad geplant hat.«
»Aber ich weiß nichts über die Fey«, wandte Arianna ein.
»Ich bin nicht zum Herrscher erzogen worden«, sagte Gabe.
Seine Mutter zuckte die Schultern. »Aber ich«, sagte sie und war verschwunden.
9
Laute Stimmen weckten ihn auf.
Boteen fuhr hoch. Er stellte angewidert fest, daß er neben einem großen Felsbrocken auf einem Büschel verbrannten Grases eingeschlafen war. Er fühlte die Nachwirkungen der geschändeten Magie sowie den Zorn, die Macht und die Furcht, die damit verbunden waren.
Zwei Zaubermeister waren hier, einer davon befand sich sogar ganz in seiner Nähe, und er war einfach eingeschlafen.
Diese Feststellung munterte Boteen nicht gerade auf.
Er legte eine Hand auf den Kopf und setzte sich vorsichtig auf. Dieser unangenehme Schreiber und die Möwenreiterin, deren Namen er immerzu vergaß, erklommen den Berg. Der Schreiber war der Ältere und ein notorischer Jammerlappen. In der letzten Nacht hatte er obendrein bewiesen, daß er keinerlei Ausdauer besaß.
Boteen vernahm jetzt die Stimme des Schreibers, der sich mit der Möwenreiterin darüber stritt, ob sie wohl bald am Ziel angekommen waren.
Die Möwenreiterin antwortete nicht.
»Ich höre dich seit einer Stunde«, log Boteen, dessen Stimme bereits kräftiger geworden war, seit Threem ihn gefunden hatte.
Threem. Boteen hatte das Gefühl, als sei eine halbe Ewigkeit vergangen, seit sich der Pferdereiter an den Aufstieg gemacht hatte. War es ein Fehler gewesen, ihn allein hinaufzuschicken?
Der Schreiber trat jetzt zwischen zwei Felsblöcken hervor. Er hielt einen Lichtstock, der seine asketischen Züge beleuchtete. Er sah mager und erschöpft aus und bewegte sich so mühsam, als schmerze jeder einzelne Muskel seines Körpers.
Hinter ihm tauchte die Möwenreiterin auf. Sie war nackt und hatte eine Hand auf den Magen gelegt. Ihr weißes, gefiedertes Haar war so lang, daß es den ganzen Rücken bedeckte. Sie schien sich ebenso elend zu fühlen wie Boteen.
»Was ist mit dir passiert?« fragte sie den Zaubermeister mit heiserer Stimme, die sich wie der abgerissene Schrei einer Möwe anhörte.
»Dasselbe wie mit dir, vermute ich«, entgegnete Boteen. »Es gab ein magisches Ereignis.«
»Du meinst diese Woge?«
»Woge, Wind, nenn es wie du willst.« Boteen lehnte sich gegen den Stein. Der größte Teil seiner Zauberkraft war noch verschwunden, aber er spürte schon wieder eine schwache Ahnung dieser Kräfte in seinem Innersten aufflackern. Zehrte er sie auf, war seine restliche Energie vollständig erschöpft. »Hast du deine Fey-Gestalt unwillkürlich angenommen oder dich dafür entschieden?«
Die Möwenreiterin lächelte. Obwohl sie keinen Lichtstab trug, konnte Boteen ihre Züge klar erkennen. Die Morgendämmerung brach an.
»Nun ja, sagen wir mal, ich entschied mich lieber dafür, statt wie eine Bleiente abzustürzen.«
»Sie kam mehrmals ins Trudeln«, sagte der Schreiber. »Achtmal, um genau zu sein, und sie verfehlte mich jedesmal, aber es sah immer so aus, als wollte sie mich zu Boden werfen. Zuerst duckte ich mich …«
»Verstehe«, sagte Boteen kurz angebunden. Wenn er den Redefluß des Schreibers jetzt nicht eindämmte, würde er stundenlang weiterplappern und alles bis ins kleinste Detail schildern. »Du hast vermutlich nichts gespürt.«
»Einen Augenblick lang kam es mir vor, als könnte ich mich an kein einziges Wort mehr erinnern«, erwiderte der Schreiber. »Das war äußerst beängstigend.«
»Kann ich mir gut vorstellen«, antwortete Boteen.
»Glücklicherweise war es nur ein sehr kurzer Augenblick«, fügte die
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