Fey 09: Die roten Klippen
Möwenreiterin hinzu. Sie zitterte. »Ich kann meine andere Gestalt nicht annehmen. Außerdem schmerzt mein ganzer Körper. Was war das nur?«
»Jedenfalls war es sehr mächtig«, sagte Boteen. Daß er beinahe seine gesamte Zauberkraft eingebüßt hatte, behielt er vorerst lieber für sich.
»Ob es etwas mit dem Ort zu tun hat, zu dem wir unterwegs sind, Boteen?« fragte die Möwenreiterin.
»Nein«, entgegnete Boteen. »Es kam aus der Inselmitte.«
»Soll das heißen, daß wir noch weiter gehen müssen?« erkundigte sich der Schreiber. »Ich dachte, wir wären am Ziel.« Er blickte sich um und verzog angewidert das magere Gesicht. »Irgend etwas ist hier passiert, nicht wahr? Es riecht immer noch nach Rauch.«
»Du bleibst hier«, befahl Boteen, der die Frage des Schreibers nicht beantworten wollte. Seit gestern war der Kerl immer gesprächiger geworden, als benutzte er zum ersten Mal seine eigene Stimme. Er stellte diese Fragen aber nur aus taktischen Gründen. Er wollte verhindern, daß die Gruppe weiterging.
»Threem ist vorausgegangen. Er sieht nach, wie steil der Weg noch wird.«
Die Möwenreiterin setzte sich. Eine dünne Haarsträhne, die einer Feder glich, löste sich aus ihrem Schopf. Sie seufzte und sank in sich zusammen. Feines Haar bedeckte ihren gesamten Körper und machte sie viel blasser als einen normalen Fey. Ihre Hände waren wie Krallen gekrümmt, die Füße mit den schuppigen Sohlen länger als die Boteens.
»Wollte er den Weg in Pferdegestalt zurücklegen?« fragte sie. »Nach allem, was passiert ist?«
»Er wirkte nicht so angeschlagen wie du«, gab Boteen zurück.
»Oder wie du, offensichtlich«, entgegnete sie.
Boteen fragte sich, ob die Zauberkraft eines Möwenreiters die eines Pferdereiters überstieg, aber das ergab keinen Sinn. Schließlich gehörten sie der gleichen Gattung an, und ein Pferd war größer. Vielleicht war Threem einfach kampferprobter, besser auf Veränderungen und Schwierigkeiten eingestellt.
»Ist das dein erster Feldzug?« wollte Boteen wissen.
»Der fünfte«, erwiderte sie. »Aber ich habe nur an wenigen Kämpfen teilgenommen.«
Damit war seine Frage beantwortet. Sie war noch nie aus der Fassung gebracht worden, hatte noch nie mit unvorhergesehenen Veränderungen, Verletzungen oder Schwierigkeiten fertig werden müssen.
Dazu bot sich ihr als Möwenreiterin natürlich auch nur wenig Gelegenheit. Während sich Pferdereiter immer mitten im Schlachtgetümmel befanden, flogen Möwenreiter darüber hinweg. Auf diese Weise konnten sie allen gefährlichen Waffen, vom Bogen bis zu den Schwertern, aus dem Weg gehen.
»Ich habe keinerlei Kampferfahrung«, ließ sich der Schreiber überflüssigerweise vernehmen.
Boteen funkelte ihn böse an. Hinter sich hörte er ein Scharren. Er wandte sich nicht um. Ein vertrautes Gefühl ging von dem Herannahenden aus, aber Boteen wußte nicht, ob es sich um Threem handelte. Es interessierte ihn auch nicht sonderlich. Im Augenblick konnte er nicht viel mehr tun, als sich durch geschicktes Reden über Wasser zu halten.
Das Scharren kam näher, und schließlich war Threem in Sichtweite. Er war immer noch in Fey-Gestalt. Als er die beiden anderen bemerkte, nickte er ihnen zu.
»Es ist genauso, wie du gesagt hast, Boteen«, sagte Threem. »Die Schwerter sind allerdings viel größer, als ich dachte. Es muß unglaubliche Kraft gekostet haben, sie an diesen Stellen zu befestigen.«
»Oder unglaubliche Magie«, erwiderte Boteen.
Threem lächelte.
»Der Pfad ist steil«, fuhr er fort, »aber nicht zu steil für mich. Auf dem letzten Teil gibt es Stufen, die sehr alt aussehen. Dort scheint es mir am gefährlichsten zu sein. Vielleicht zerbrechen die Stufen unter unserem Gewicht.«
»Sind sie aus Holz?« fragte die Möwenreiterin.
»Sie bestehen aus dünnem Stein, der alt und porös ist«, sagte Threem. Er atmete schwer. »Ich bin nicht ganz bei Kräften. Wir müssen langsam gehen, aber ich bin zu einem Versuch bereit, wenn ihr mich begleitet. Ich will, daß noch jemand sieht, was ich da oben gefunden habe.«
Normalerweise hätte sich Boteen geweigert, einen Berg auf dem Rücken eines Pferdereiters zu erklimmen, aber jetzt blieb ihm nichts anderes übrig. Er hatte keine Ahnung, wann er wieder bei Kräften sein würde.
»Hast du jemanden gesehen?«
»Dafür bin ich nicht nahe genug herangegangen«, sagte Threem. »Wachtposten habe ich jedenfalls nicht entdeckt. Ich habe auch nach allem Ausschau gehalten, das weniger auffällig
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