Fey 10: Das Seelenglas
wirst deine Meinung schon noch ändern.«
Gabe schüttelte den Kopf. »Wir haben uns schon einmal darüber unterhalten, weißt du noch? Da drin.« Er blickte Fledderer und Leen an. Sie sagten nichts. Dann wanderte sein Blick wieder zu Nicholas. »Meine Leute setzen immer einen Schamanen an einen Ort der Macht, stimmt’s? Auch dieser Ort brauchte einen. Ich möchte dieser Schamane sein. Ich möchte nicht in den Krieg ziehen, mich nicht einmal gegen einen Krieg verteidigen. Ich möchte hier bleiben und in Ruhe leben.«
»Ob dieser Platz ruhig ist, würde ich noch bezweifeln.«
Die Stimme kam von oben. Coulter. Er saß bleich und zerzaust auf der obersten Stufe.
»Trotzdem«, sagte Gabe.
Nicholas sah ihn ein paar Sekunden lang an. Jewel hatte etwas hinsichtlich Gabes Temperament erwähnt. Sie hatte gesagt, daß Nicholas ihn davor bewahren sollte, zu töten, daß Gabes Magie ihr fast wie die der Domestiken vorkam. Und die Schamanin hatte gesagt, Gabe sei eher wie Nicholas’ Vater, ein Mann, der die Bürde der Anführerschaft beinahe verabscheute, schon gar die Bürde des Krieges.
Nicholas’ Vater hätte niemals ein kriegerisches Volk wie die Fey anfuhren können.
»Bist du dir ganz sicher?« fragte Nicholas.
Gabe nickte.
»Arianna«, sagte Nicholas. »Möchtest du den Schwarzen Thron?«
»Nein«, sagte sie. »Aber ich bin eher dafür geeignet. Auch wenn ich rücksichtslos bin.«
»Impulsiv«, sagte Gabe.
»Und ich werde viele gute Ratschläge brauchen.«
»Nichts leichter als das«, sagte Gabe. »Selbst wenn du dafür bis an den äußersten Rand der Insel kommen mußt.«
Sie blickten einander in die Augen, und Nicholas sah ein wenig mürrisch drein. Etwas war geschehen, seit sie gemeinsam dort drinnen im Schattenland in der Falle gesessen hatten. Sie waren zu einer gewissen Übereinkunft gekommen.
Darüber mußte er sie später ausführlicher befragen. Im Augenblick jedoch mußte er eines oder zwei seiner Kinder den Fey präsentieren.
»Eine solche Entscheidung ist nicht leicht zu treffen«, sagte Nicholas.
»Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, der Anführerschaft aus dem Weg zu gehen«, sagte Gabe. »Nie hat es funktioniert. Vielleicht klappt es jetzt.«
»Und mich hast du zum Herrschen erzogen«, sagte Arianna zu Nicholas.
»Nicht über die Fey.«
»Nicht über die Fey«, wiederholte sie. »Aber ich habe nicht vor, eine Kriegerfürstin zu sein. Der Ausbau des Reiches endet hier. Auf dieser Insel. An einem Ort, der mir sehr vertraut ist.«
So einfach war es nicht. Arianna würde soviel mehr lernen müssen, als sie bereits jetzt wußte. Aber das konnte mit der Zeit kommen. Nicholas nahm sie am Arm.
»Dort draußen irrt ein Haufen verwundeter und verwirrter Fey umher. Sie haben gerade ihren König sterben sehen. Sie müssen wissen, daß die Erblinie der Fey auf dem Schwarzen Thron fortgeführt wird. Sie wissen, daß er eigens wegen dir hierhergekommen ist. Bist du bereit, dich vor sie zu stellen und die Herrschaft über ihr Reich zu übernehmen?«
Ariannas große, leicht schrägstehende Augen weiteten sich. Ihre Haut errötete ein wenig. »Wo ist meine Mutter?« wollte sie wissen.
»Ich kann sie holen«, sagte Nicholas. Inzwischen mußte Matthias’ Vorsprung groß genug sein.
»Bitte«, sagte Arianna. »Sie weiß, was ich ihnen sagen soll. Sie weiß, wie ich sie dazu bringe, daß sie mir zuhören.«
Das war die richtige Entscheidung, die beste Entscheidung, die sie je getroffen hatte. Irgendwie fühlte sich Nicholas dadurch beruhigt.
Seine Frau würde seiner Tochter bei allen Schwierigkeiten helfen, die das Reich der Fey betrafen, ihr bei den Problemen, die das Regieren mit sich brachte, zur Seite stehen. Er hatte seine Insel wieder. Er hatte seine Kinder. Er hatte eine ganze Welt wiedergewonnen, obwohl er noch einen Tag zuvor so gut wie verloren war.
»Ich dachte, wir haben es eilig«, sagte Ari, und in ihrer Stimme schwang ein gebieterischer Ton mit, der zuvor dort nicht zu hören gewesen war. Er lächelte sie an. Er würde sie daran erinnern müssen, daß sie zwar das Reich der Fey regierte, er aber immer noch König der Blauen Insel war. Und ihr Vater.
Aber das konnte warten. All diese Einzelheiten konnten warten.
Er stieg die Treppe hinauf, nahm dabei zwei Stufen auf einmal, und ging eilig auf das Glasfigürchen zu. Dort nahm er eine Flasche mit dem Blut des Roca aus dem Regal, entkorkte sie und nahm dann die Figur in die Hand. Jewel blickte ihn finster von drinnen an. Er nahm
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