Fey 10: Das Seelenglas
war doch oft genug hier drin gewesen. Zak hatte ihm erzählt, daß die Schmiede, die sie zum Herstellen der Varin-Schwerter benutzt hatten, falsch gewesen war. Also wußten sie mehr als genug. Darauf zählte er, genauso wie alle anderen.
»Trotzdem«, widersprach sie. »Du warst der einzige, der sie gegen diese Kreaturen einzusetzen wußte.«
»Und du hast sie zurückgeschlagen.«
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen, und er wußte, warum. Er wußte genausogut wie sie, was sie benutzt hatten, um die Fey zurückzudrängen.
»Kann man die Roca denn überhaupt ausradieren?« Matthias beantwortete sich seine eigene Frage. »Dieses Geschlecht kann nicht zerstört werden.«
Sie senkte den Kopf. Ihr Haar wurde bereits dünn. Lange Jahre seines Lebens war sie seine gerechte Strafe gewesen. Jetzt aber sah er zum ersten Mal, was sie wirklich war. Eine alte Frau, die bei fast allem, was ihr wichtig gewesen war, versagt hatte.
»Das ist es nicht«, entgegnete sie. »Es gibt nur wenige wie dich. Und wir haben viele gesehen. Es sind die anderen.«
»Die anderen?« fragte er.
»Die Höhle der Roca steht immer noch offen. Egal wie oft wir sie verschlossen haben, sie bleibt es nie lange. Sie kann nicht verschlossen bleiben. Die Schwerter hätten Eindringlinge abhalten sollen, aber es hat nichts genützt. Jedenfalls nicht immer.«
»Also heißt das, daß es noch andere mit der Kraft der Roca gibt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»So einfach ist es nicht. Was die Höhle dem einen gibt, ist nicht dasselbe, was sie dem anderen gibt.«
»Und was hat sie dir gegeben?«
Sie hob den Kopf. Ihre Wangen waren gerötet.
»Oben auf dem Berg hast du mir erzählt, daß du als junges Mädchen dort gewesen bist«, begann er. »Du hast gesagt, daß du deswegen eine Weise geworden bist. Du hast gesagt, es sei ein heiliger Ort und daß niemand sich entmutigen lassen solle, die Hand Gottes zu berühren.«
»Die Rechte Hand Gottes«, flüsterte sie und zog ihre Hand zurück. »Bist du hineingegangen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Dann verstehst du es also noch nicht.« Sie schloß die Augen. »Ich habe dafür gebetet und geschworen, es nie zu benutzen.«
»Was?«
»Die Kraft«, antwortete sie. »Dieselbe, die du besitzt. Aber sie ändert sich von Person zu Person und von einem Familienzweig zum anderen.«
»Wie ändert sie sich?«
»Je nachdem, wie du sie benutzt, und nachdem, was du dir selbst darunter vorstellst. Deine Vorstellungen sind ihre Grenzen. Der Roca hat gesagt, seine Vorstellung davon sei grenzenlos gewesen. Er schränkte die Macht seiner Söhne ein, indem er ihrem Geist Grenzen setzte.«
»Aber das war nicht genug«, setzte Matthias hinzu.
»Genug jedenfalls für die Familie des Königs.« Sie lächelte traurig. »Nicht für deine.«
»Und das hast du eingesetzt, um die Fey zurückzuwerfen«, stellte Matthias fest.
Sie strich sich mit der Hand durch das dünne Haar. »Ich habe versprochen, die Macht niemals zu gebrauchen«, sagte sie. »Als ich verstört und verängstigt zurückkehrte und die Weisen mich aufnahmen, habe ich es versprochen.«
»Waren sie in die Höhle gegangen?«
»Wir bewachen sie. Das hier ist der Haupteingang, nicht der oben. Nur wenige gehen so weit in die Berge, und wenn, dann wissen wir davon.«
»Und dann macht ihr Weise aus ihnen.«
»Wenn es uns gelingt.«
»Aber warum seid ihr so versessen darauf, den Gebrauch der Macht zu unterbinden?« fragte er. »Warum habt ihr uns andere als Dämonenbrut bezeichnet? Warum habt ihr nicht von dem Gebrauch gemacht, was euch gegeben wurde?«
Ihr standen Tränen in den Augen, aber er wußte nicht, warum. Sie öffnete den Mund, um ihm zu antworten, dann schloß sie ihn wieder, als seien Worte nicht genug.
»Ist es wegen des Wahnsinns?« flüsterte er.
Sie nickte. »Der Roca ist in diesem Punkt sehr eindeutig, denn er wußte, daß zuviel Macht den Geist zerstört.«
Matthias’ Mund war ausgetrocknet. Er warf einen Blick auf die Worte. »Woher wißt ihr dann, daß das hier nicht die Phantasien eines Verrückten sind?«
»Weil er starb, bevor der Wahnsinn ihn völlig übermannte«, antwortete sie. »Er war nicht mehr von dieser Welt. Doch er sorgte sich noch sehr um diese Welt, obwohl er sich bereits in einer anderen aufhielt.«
Genauso wie Jewel. Sie war tot und doch wieder nicht.
Matthias spürte immer noch ihre Hände an seiner Kehle.
Er faßte sich an den Hals und befühlte die Schwellungen und Blutergüsse.
Der Wahnsinn. Er erschauerte. Er
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