Fey 10: Das Seelenglas
hatte der Roca geschrieben. Nur denen, gegen die sie gerichtet sind.
Wenn also die Fey damals, an jenem schicksalhaften Tag der ersten Invasion, als sie Matthias in der Kapelle gestellt hatten, das Weihwasser gegen ihn gerichtet hätten, so wie er es gegen sie richtete, dann wären er und alle anderen Inselbewohner getötet worden. Er hatte ihnen die Gefäße mit dem Weihwasser entgegengeschleudert und gehofft, die Fey damit zu töten.
Es war eine sehr durchdachte Art von Magie, die der Roca nach seiner Rückkehr erfunden hatte. Damit hatte er versucht, die Zauberkraft, die er auf die Blaue Insel gebracht hatte, wieder auszulöschen. Er hatte sie sogar gegen Freunde angewendet, denn in den Seelenbehältnissen befanden sich einige seiner engsten Vertrauten, die mit seinem Meinungswechsel nicht einverstanden gewesen waren. Aber er hatte es nicht übers Herz gebracht, sie auch gegen seine eigene Familie zu richten. Diese Aufgabe überließ er den Weisen, die unwiderruflich versagt hatten.
»Was können wir denn sonst tun?« fragte Pausho.
»Es gibt vieles, was wir tun können«, antwortete Matthias. »Obwohl das meiste davon für eine Schlacht nicht geeignet ist.«
»Wir müssen die Juwelen vom Boden nehmen. Ich glaube, uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Sein Blick fiel auf die Edelsteine. Sie waren wieder genauso dunkel, wie sie es gewesen waren, bevor er den Altar berührt hatte. Wenn man das Wissen in den Worten mit den Geheimnissen verband, wurde einem klar, daß die Juwelen mehr Eigenschaften besaßen als alle anderen Gegenstände. Die Edelsteine bündelten alles. Mit nur einem Stein stand einem Mann wie Matthias ein ganzes Waffenarsenal zur Verfügung, wenn er nur damit umzugehen verstand.
»Wir lassen sie liegen«, sagte er zögernd. »Der Roca hat sie ursprünglich da hingelegt, um den Weg zur Höhle zu bewachen.«
Aber während er das sagte, fühlte er wieder diese Begehrlichkeit in sich aufsteigen.
»Es gibt noch andere Waffen in der Höhle«, erklärte Pausho. »Ich hole sie.«
»Auch noch mehr Edelsteine?« fragte er.
»Und Glaskugeln, Seelengefäße und Schwerter. Die meisten unserer Gegenstände sind dort aufbewahrt.«
Er blickte auf den Eingang zur Höhle und fühlte eine noch größere Gier nach diesen Gegenständen. Er konnte nicht alle Waffen wegtragen, aber wenigstens ein paar davon. Nur eine Tasche voller Edelsteine würde genügen, um die Stadt zu retten.
Aber er wollte nicht, daß Pausho sie berührte, denn sie zerstörte alles, was sie anfaßte.
»Ich gehe selbst«, entgegnete er.
»Du bist fast gestorben, als du das letzte Mal dort hineingegangen bist«, gab sie zu bedenken.
»Ich weiß.«
»Weshalb glaubst du, du kannst dort noch einmal hineingehen?«
Die Worte lagen offen auf dem Sockel. Er hätte sie gern noch einmal angefaßt und darin gelesen. Sie hatten für ihn alles verändert.
Sein ganzes Leben war verändert.
Und er hatte sich so jämmerlich getäuscht.
»Ich könnte sterben«, gab er zu. »Aber was mit mir geschieht, ist unwichtig.«
»Und was ist wichtig?«
Er streckte die Hand aus, um ihr hochzuhelfen. Pausho starrte sie an. Aber er hatte beschlossen, weder seine Hand wegzuziehen noch ihre Frage zu beantworten, bevor sie aufrecht neben ihm stand.
Das schien sie zu spüren, denn schließlich legte sie ihre Hand in seine.
Ihre Haut war ledrig, rauh und kühl. Er fragte sich, ob überhaupt schon etwas von ihrer Kraft zurückgekehrt war. Trotz der Berührung vermochte er das nicht zu sagen. Ihre Berührung war geradezu passiv. Aber ›passiv‹ war ein Wort, daß er noch nie mit ihr in Verbindung gebracht hatte.
»Du mußt sie anführen«, sagte er und bedeckte ihre Hand mit der seinen. »Auf mich hören sie nicht. Du mußt kühn und tapfer sein und bereit, Opfer zu bringen.«
»Leben zu opfern«, berichtigte sie.
Er nickte.
»Du kannst sie anführen«, sagte sie. »Ich befehle ihnen, zu gehorchen und …«
»Das funktioniert nicht, wie wir beide sehr genau wissen«, entgegnete er. »Es würde vielleicht für eine Weile gutgehen. Aber sobald der Kampf ernst wird, würden sie ohnehin zu dir überlaufen. Du verfügst über das Wissen, und du weißt, welche Möglichkeiten es gibt.«
»Aber ich kenne die Geheimnisse nicht«, widersprach sie.
»Du wußtest aber davon«, sagte er. »Du weißt mehr darüber als ich.«
Sie starrte ihn an, und er fragte sich, ob er überhaupt richtig lag mit seiner Vermutung. Sie wußte doch darüber Bescheid, oder etwa nicht? Sie
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