Fey 10: Das Seelenglas
unterschätzt hatte.
Die Falkenreiter kreisten mehrere Male über dem Gebiet. Offensichtlich hatten auch sie die Leichen entdeckt. Ein Falke stieß einen schrillen Schrei aus, woraufhin Rugad Fey-Stimmen hörte, die den Vogelreiter zum Schweigen brachten.
Sie waren also verunsichert.
Er hoffte, Nicholas und seine Leute waren nicht schlau genug, den seltsamen Falkenschrei zu deuten.
Nicht, daß es etwas ausgemacht hätte. Ganz egal, was Nicholas und sein Volk in diesem Augenblick auch taten, Rugad würde sie übertrumpfen. Bevor Nicholas ihn auch nur entdeckte, hätten ihn seine Falkenreiter wieder auf die andere Seite des Flusses gebracht.
Da war sich Rugad ganz sicher.
Bei anderen Dingen hingegen war er nicht so sicher.
Von der verbrannten Stelle aus führten Spuren nach oben. Rugad lenkte die Falkenreiter mit Hilfe der Seile über diese Spuren. Er spürte den Ort der Macht ganz deutlich. Alle magischen Strömungen schienen ihm zu entspringen. Er sah ihn noch nicht, und er war nicht sicher, ob er ihn so sehen würde, wie ihn die alten Legenden beschrieben: wie ein helles Licht oder einen Edelstein oder wie eine Dunkelheit vor einer Felswand. Er hatte sein Ziel noch nicht gefunden, aber er wußte, wonach er suchte.
Dann erblickte er etwas, womit er nicht gerechnet hatte: einen Lichtkreis, der im blassen Sonnenlicht rotierte. Winzige Punkte blinkten vor der weißen Oberfläche der Felsen.
Ein Schattenland.
Offensichtlich von seinem Urenkel errichtet.
Ohne es zu wollen, wurde er aufgeregt. Sein Urenkel. Sein Urenkel hatte soviel visionäres Talent geerbt, und wenn dieses Talent noch wuchs und er für die Sache des Imperiums der Fey arbeitete und die Fey letztendlich das Magische Dreieck errichtet hatten …
Eine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit. Er signalisierte den Falkenreitern, tiefer zu gehen, obwohl er wußte, daß er damit ein Risiko einging. Sie hatten einen Zaubermeister, und sie hatten eine Rotkappe, und welche Fey sonst noch bei ihnen waren, wußte er nicht. Die Irrlichtfängerin hatte gesagt, sie habe auch Infanteristen gesehen, aber sie war sich nicht sicher. Die Fey, die noch bei ihnen war, könnte eine Vogelreiterin oder eine andere zaubermächtige Fey gewesen sein.
Die Strömungen rings um den Ort der Macht waren extrem stark. Die Falkenreiter flogen direkt hinein, doch sie schienen sie nicht sehr deutlich zu spüren. Unterhalb des Torkreises sah er ein eindeutig von Menschenhand geschaffenes Plateau, auf dem keine Steine lagen. Mehrere überdimensional große, mit Edelsteinen besetzte Schwerter steckten mit der Spitze nach unten im Boden.
Die Edelsteine waren riesig.
Rugad runzelte die Stirn. Manchmal benutzen die Fey irgendwelche Dinge, um ihre Zauberkraft zu bündeln, aber eigentlich bedienten sie sich dabei fast ausschließlich der Haut, des Blutes und der Knochen ihrer Feinde. Die Inselbewohner hingegen schienen ihre Macht fast ausschließlich mit Hilfe anderer Dinge zu konzentrieren. Etwa mit Weihwasser oder mit diesem Schwert. Rugad fragte sich, ob auch die Edelsteine diesem Zweck dienten. Sie waren wie geschaffen dafür: Sie fingen die Strömungen ein und gaben ihnen eine bestimmte Richtung. Wahrscheinlich waren sie ein Grund dafür, daß die Strömungen so und nicht anders verliefen. Ohne die Edelsteine würden die Strömungen hier aufeinandertreffen und einen Wirbel erzeugen, der jeden mit magischen Kräften Begabten in die Falle locken und festhalten würde.
Rugad wußte, daß dieser Ort der Macht nicht so geschaffen war, schließlich hatte die Irrlichtfängerin, die zu den körperlich schwächsten Fey überhaupt gehörte, den Strömungen widerstehen können, obwohl sie behauptet hatte, sie sei beinahe in einen der Edelsteine hineingestürzt.
Ihre Großmutter hatte sie davor bewahrt.
Ihr tote Großmutter.
Rugad spähte nach unten. Dort unten gab es nicht nur Strömungen und gebündelten Zauber, den Ort der Macht selbst, sondern auch die Mysterien konnten dort sichtbar gemacht werden: An jenem Ort dort unten gefiel es den Mächten, sich zu offenbaren. Auf diese Weise hatten die Schamanen einen seiner Vorfahren dazu überredet, sie allein als Hüter des Ortes der Macht in den Eccrasischen Bergen einzusetzen; sie hatten behauptet, jemand müsse die unschuldigen Fey vor den Mächten bewahren.
Wußte Nicholas das?
Waren ihm die Mächte erschienen?
Kannte er ihre Bedeutung überhaupt?
Wieder diese Bewegung. Diesmal sah er, woher sie kam.
Eine einzelne Fey stand unweit
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