Fey 10: Das Seelenglas
angeordnet und tragen einen Mann in einem hölzernen Sitz. Der Mann hielt sich an dünnen Seilen fest und sah nach unten.
Sie drängte sich eng an den Höhleneingang und hoffte, daß er sie nicht sehen würde.
Aber sie mußte ihn sehen, um herauszufinden, wer er war. Er war ein Fey, das stand außer Frage. Und etwas an ihm kam ihr eigenartig vertraut vor.
»Leen!« rief sie so laut, wie sie sich eben traute. »Leen!«
Leen hörte sie nicht. Arianna drückte sich an die Felswand und schob sich auf die Plattform hinaus. Die Schwerter – diejenigen, die ihrem Vater Sorgen bereiteten – schwebten über ihr. Sie mußte sie ignorieren.
»Leen!«
Leen spähte über den Felsvorsprung und sah weder die fliegenden Fey über noch den Schatten hinter ihr. Sie schien auch Arianna nicht zu hören.
»Leen!« Diesmal rief Arianna lauter. Sie fragte sich, ob der Mann über ihr sie bei dem rauschenden Wind und dem Flügelgeflatter hören konnte.
Leen drehte sich um.
Arianna zeigte nach oben.
Leens Blick folgte ihrem Finger. Die Kriegerin zuckte zusammen. Inzwischen hatten sich die Vögel wieder von den Bergen entfernt und überquerten gerade den Fluß. Sie flogen eine leichte Kurve und hielten auf das Tal zu, weg von Arianna und dorthin, wo die Fey ihre Armeen zusammenzogen.
Leen fluchte und winkte Arianna aufgeregt zu. »Geh rein! Du sollst doch nicht hier draußen herumlaufen!«
Wäre sie nicht herausgekommen, hätte niemand die Vogelreiter gesehen. Doch Arianna verkniff sich die Entgegnung und blickte dem Mann inmitten der flatternden Vögel mit zusammengekniffenen Augen nach.
Wie viele Fey-Männer mittleren Alters kamen ihr wohl vertraut vor?
Ihre Nackenhaare stellten sich auf.
Das dort oben war nicht irgendein Fey gewesen … sondern ihr Urgroßvater. Er hatte das Gelände erkundet.
Er hätte sie sehen können.
Sie zwang sich, tief durchzuatmen.
Wenn er sie gesehen hatte, würde er wiederkommen, um sie zu holen. So vielen Falkenreitern und auch ihm allein war sie nicht gewachsen.
Nein. Er führte etwas im Schilde.
Sie schlich durch die Felsen zurück zum Höhleneingang. Drinnen war niemand zu sehen. Wahrscheinlich waren alle mit irgend etwas beschäftigt oder versuchten einen Plan zu ersinnen, mit dem man den Schwarzen König besiegen konnte.
Arianna rannte in die Höhle und eilig die Treppe hinunter. Ihr Vater saß neben Coulter auf der untersten Stufe und starrte vor sich auf den Boden. Gabe stand seitlich neben ihnen. Er war kaum mehr als ein besserer Übersetzer für seine Mutter.
»Papa!« rief sie.
Ihr Vater blickte auf.
»Der Schwarze König!« sagte sie und zeigte nach hinten.
Ihr Vater, Coulter und Gabe drehten gleichzeitig die Köpfe herum und schauten die Treppe hinauf.
»Er ist gerade eben vorbeigeflogen. Er hat sich von oben alles genau angesehen.«
»Bist du sicher, daß es der Schwarze König war?« fragte Gabe. Sie wußte nicht, ob er die Frage für sich oder für seine unsichtbare Mutter stellte.
Arianna hatte im letzten Monat gelernt, so gut es ging die Wahrheit zu sagen, selbst wenn sie dabei nicht so gut wegkam. Noch vor wenigen Wochen hätte sie mit einem klaren ›Ja‹ geantwortet. Diesmal jedoch holte sie tief Luft und sagte: »Nein. Aber ich kenne kaum andere Fey in seinem Alter, und dieser Mann kam mir vertraut vor.«
Ihr Vater wandte sich von ihr ab, nickte und sagte: »Ja. Tu das.«
Offensichtlich redete er mit ihrer Mutter. Dann drehte er sich um und bemerkte ihren verwirrten Gesichtsausdruck.
»Sie geht nachsehen, ob sie erkennen kann, um wen es sich handelt.«
Coulter betrachtete sie mit seinen tiefblauen Augen. Sie spürte ihren Sog ganz deutlich und lächelte ihn ein wenig unsicher an.
Er lächelte nicht zurück.
»Es geht los, hm?«
»Es geht schon seit Tagen los«, erwiderte Gabe, und diesmal wußte Arianna, daß er selbst redete. Wenn er für seine Mutter dolmetschte, sprach er nie mit soviel Bitterkeit und Leidenschaft in der Stimme.
»Nein«, sagte Coulter. »Die eigentlich Sache. Er hat es auf euch beide abgesehen.«
»Das wissen wir schon lange.«
»Und auf diesen Ort.«
Arianna nickte. Ihr Herz raste. Sie wollte nicht daran denken, wie recht ihre Mutter gehabt hatte. Arianna war bereit zum Kampf. Mehr als bereit, um ehrlich zu sein. Sie wollte, daß die Schlacht sofort anfing, obwohl sie tief in ihrem Innersten wußte, daß danach nichts mehr wie vorher sein würde.
Vielleicht mußten einige von ihnen sogar sterben.
Sie legte eine Hand auf
Weitere Kostenlose Bücher