Fia die Betoerende
schmales Bündel Briefe. Sie lächelte, ein Lächeln, das nicht im Entferntesten dem ähnelte, das sie außerhalb dieses Raumes zeigte. Es war voller Vorfreude auf ein ehrliches, einfaches und unkompliziertes Vergnügen.
Das Bündel Briefe stammte von ihren Brüdern und deren Frauen, von ihr in den vergangenen Jahren gesammelt und gehütet wie einen kostbaren Schatz, je acht von Ash und Raine, fünf von Favor und sechs von Rhiannon.
Mit Kennermiene wählte sie sorgfältig einen schmalen Umschlag aus dem Häufchen aus und entfaltete ihn sorgsam. Er war schon so oft gelesen worden, dass die Knicke vom häufigen Auf- und wieder Zusammenfalten ganz dünn und die Ränder ausgefranst waren.
Er war zwei Jahre alt und von Raine den ganzen weiten Weg von seinem sonnigen Landsitz in Norditalien her geschickt. Monate nachdem sie ihn erhalten hatte, hatte sie sich noch eingebildet, sie könnte die Pfirsiche riechen, die ihr Bruder ihr darin beschrieben hatte.
Meine liebste Schwester,
ich habe gute Neuigkeiten. Heute Morgen wurde Favor von einer Tochter entbunden, so schön wie ihre Mutter und - wie ich stolz bestätigen kann - ebenso stimmgewaltig. Wir haben sie Gillian Charlotte genannt, nach niemandem, weil, wie Favor so treffend sagt, sie unsere Zukunft sein muss; wir dürfen nicht länger an der Vergangenheit hängen.
Meine liebe Frau ist, wie Du hieran sehen kannst, nicht sonderlich sentimental. Aber sie hat mich ausdrücklich gebeten, Dich in diesem Brief von ihr zu grüßen, so dass vielleicht trotz allem doch noch Hoffnung für das schreckliche Mädchen besteht.
Ich wünsche Dir und Deinem Gatten alles Gute. Vielleicht wirst Du ja doch eines Tages auch Deine eigene Familie gründen. Ich, mit meiner immerhin neunstündigen Erfahrung, kann Dir sagen, dass es einfach unvergleichlich ist.
Mit lieben Grüßen,
Dein Bruder Raine
Fia faltete den Brief sorgfältig wieder zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie das Polster an seinen Platz zurücklegte, ohne einen weiteren zu lesen, da sie sie sich sparsam und klug einteilen wollte, so dass die tiefe Freude, die sie beim Lesen empfand, auch in den kommenden Jahren noch frisch und lebendig blieb.
Gillian. Gilly. Und ein Jahr später war ein Sohn geboren worden, Robert. Ash war auch Vater eines Sohnes, eines rothaarigen Jungen, der einmal seine gut gehende Pferdezucht in Cornwall erben würde.
Fia schüttelte verwundert den Kopf. Ihre Brüder waren entweder wesentlich furchtloser als sie oder wesentlich weniger besorgt wegen des düsteren Verdachtes, der ihr Leben überschattete. Oder vielleicht hatten sie auch einfach vergessen, wessen Blut in ihren Adem rann . . . Gott! Wenn ihr das doch nur auch vergönnt wäre!
Aber auf der anderen Seite - was wusste sie denn schon von ihren Brüdern? Während sie heranwuchs, waren sie für sie wie Fremde gewesen, und sie hatte angenommen, dass sie ihnen gleichgültig war. Zu spät hatte sie begriffen, dass Carr für die Entfremdung zwischen den Geschwistern verantwortlich war.
Ihre Augen begannen zu brennen. Die eiserne Selbstbeherrschung, die sie jeden wachen Moment ausübte, drohte ihr zu entgleiten. Unwillkürlich versuchte sie sie zu halten, indem sie sich zwang, sich den Gedanken zu stellen, die ihre Gefasstheit zu untergraben drohten. Das war eine Übung, die sie sich oft auferlegte.
Es gab viel, das sie in letzter Zeit erfahren hatte, und sie erinnerte sich nur zu deutlich an den Tag, als ihre Naivität gestorben war. Sie war ein bedauernswertes, unglücklich verliebtes junges Mädchen gewesen, das sich aus der väterlichen Burg geschlichen hatte, um seinem strahlenden Helden zu folgen, dem gut aussehenden Schotten Thomas Donne und der lieblichen Rhiannon Russell.
Es hatte heftig zu stürmen begonnen. Sie entsann sich daran, wie er sich so gestellt hatte, dass sein Körper die Wucht des Windes abfing und Rhiannon geschützt wurde. Fia saß hinter eine Mauer gekauert, vom Regen durchweicht, voller Verachtung und dennoch eine armselige Erscheinung, während sie sich anstrengte, seine Worte zu verstehen. Und das hatte sie dann auch.
„Carr hat seine erste Frau umgebracht und die beiden danach auch. “
„Er hat seine Söhne im Kerker verrotten lassen.“
„Fia ist nichts weiter als Carrs Hure.“
Da, dachte Fia befriedigt, den Blick leidenschaftslos auf ihre Hände gerichtet. Kein Zittern oder Beben. Noch nicht einmal ein kleines Zögern. Die Erinnerung hatte nicht
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