Fia die Betoerende
länger die Macht, ihren Herzschlag zu beschleunigen und sie am ganzen Körper erbeben zu lassen. Die Wunde war verheilt und die Haut darüber dicker als zuvor nachgewachsen. Aber nicht glatt, sondern schlimm vernarbt oder wie ein gebrochener Knochen, der schief und verdreht wieder zusammengewachsen ist. Manchmal ertappte sie sich bei der Frage, ob ein erneuter Bruch sie wieder in Ordnung bringen könnte. Nicht dass es etwas ausmachte.
Ja, sie war besudelt, trug den Fluch des Merrick-Blutes in sich. Aber sogar das konnte sich jetzt unerwartet bezahlt machen. Wer außer ihr, die sie von Kindesbeinen an dazu erzogen worden war, seine Komplizin zu sein, konnte Carrs Gedankengänge erahnen und seine Reaktionen Vorhersagen? Und wenn sie das vergiftete Geschenk ihrer Erziehung dazu benutzen konnte, ihn schachmatt zu setzen, dann würde sie Gott auf Knien für den Makel danken, Carrs Lieblingskind zu sein.
Ein Klopfen erklang an der Tür.
„Was ist?“ rief sie.
„Ein Gentleman ist hier, der Sie sehen möchte, Madam. Ein Mr. Do . . .“ Porter senkte diskret seine Stimme.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Haben Sie Mr. Donne gesagt?“
„Nein, Madam“, lautete die Antwort. „Ein Mr. Dolan.“
Sie ließ ihre Schultern hängen - nein, sie entspannte sich. „Sagen Sie Mr. Dolan, dass ich nicht zu Hause bin.“
„Wie Sie wünschen, Mylady. “
In Gedanken wandte sie sich wieder dem zu, was früher am Tag geschehen war. Sie war in ihrer Rolle als Verführerin aufgegangen und hatte den von ihr selbst begründeten Ruf sorgfältig mit gewagten, anstößigen und völlig falschen Geschichten genährt. Das schreckte die wählerischeren Verehrer davon ab, es sich ernsthaft zu überlegen, um ihre Hand anzuhalten. Und wenn keiner um ihre Hand anhielt, wie wollte Carr sie dann vergeben?
Sie hatte gewusst, wer über ihr aufragte, noch bevor sie den Blick gehoben hatte. Und als sie ihn dann anschaute, wünschte sie, sie hätte es nicht getan. Thomas hatte wie ein Racheengel dagestanden, leidenschaftslos und seiner Sache völlig sicher. Er sah unüberwindbar aus. In Thomas Donnes Wortschatz gab es das Wort Niederlage nicht.
Hoch gewachsen und breitschultrig, zeigte er wenig Ähnlichkeit mit dem trägen Lebemann, der Gast an den Spieltischen ihres Vaters gewesen war.
Jetzt war er sogar noch faszinierender.
Sein dunkles, zerzaustes Haar wies erste Spuren von Grau auf. Sein Körper wirkte kräftiger und zäher. Seine Haut war so dunkel und wettergegerbt, dass aller Puder und alle Schminke den Beweis für Jahre, auf dem Deck eines Schiffes verbracht, nicht würden überdecken können oder die feinen Linien auslöschen, die sich in den Winkeln seiner klaren grauen Augen gebildet hatten. Sein Mund war breit und hart, das Kinn schmal und energisch.
Einen Augenblick lang war sie wieder ein Mädchen gewesen, hilflos in den Fängen einer Schwärmerei zappelnd, das hoffnungsvoll darauf wartete, bemerkt zu werden, und sich verzweifelt nach seiner Anerkennung sehnte. Und tief innerlich hatte sie sich gewünscht, dass seine Macht und Wildheit ihr gälten, und dass er gekommen wäre, ihre Gegner in die Flucht zu schlagen.
Aber sie war der Feind, den er zu schlagen gekommen war. Erstaunlich, dass es so wehgetan hatte, als er sie beschuldigte, ihre Netze nach Pip ausgeworfen zu haben - der arme, liebe, anständige Junge. Der Geist des Mädchens, das sie einst gewesen war, erbebte und starb noch einmal. Abrupt wurde sie in die Wirklichkeit zurückgerissen und daran erinnert, wer sie war und was.
Sie war keine gute Frau. Sie hatte Gregory MacFarlane geheiratet, weil er reich war und leicht zu beeinflussen, aber hauptsächlich, weil er ein Schotte war und sie bei seinem Tod seinen Besitz erben würde. Doch die Dinge hatten sich nicht so entwickelt, wie sie es geplant hatte. Einmal mehr war sie die Marionette ihres Vaters. Aber es war keine Rolle, die sie sich ausgesucht hatte.
Entschlossen hob sie das Kinn und durchquerte ihr Boudoir. Sie hatte nur wenig, was noch für sie sprach, außer einem irgendwie verdrehten, tief verwurzelten Stolz. Der hatte ihr gut gedient, nachdem sie hatte entdecken müssen, was ihr Vater in Wahrheit war; er hatte sie dazu getrieben, mit MacFarlane durchzubrennen. Der Stolz hatte ihr in ihrer Ehe geholfen und dabei, mit anzusehen, wie ihr Mann in immer stärkere Abhängigkeit von ihrem Vater geriet, und ihr Stolz hatte es ihr ermöglicht, ungebeugt die Nachricht von MacFarlanes Tod und ihrer neuerlichen
Weitere Kostenlose Bücher