Fida (German Edition)
sicher, dass das Fahrrad, das sie an dem alten Haus lehnen sah, dem Mann gehört, den sie verdächtigt. Wenn Likar sich gleich zurückmeldet und die Polizei schnell reagiert , denkt sie, dann können sie ihn direkt dort einsammeln und in die Mangel nehmen .
Tatjana nimmt das Telefon mit ins Büro, setzt sich dort an den Computer und betrachtet die Bilder von Laura erneut. Ja, eindeutig, es ist dasselbe Fahrrad, ohne jeden Zweifel! Was dieser Kerl wohl auf dem verfallenen Gelände trieb? Am liebsten wäre sie vorbeigegangen, um nachzusehen. Im Minutentakt wandern ihre Augen zum Telefon. Wie lange dauert es denn noch, bis Likar endlich zurückruft? Zehn Minuten vergehen, dann zwanzig. Zum ersten Mal seit Stunden kommt ihr Jochen in den Sinn. Auch er hat sich noch immer nicht gemeldet. Tatjana beschließt, nicht mehr zu warten. Sie wird Jochen anrufen, ihm von ihrer Entdeckung auf den Bildern erzählen und ihn bitten, Feierabend zu machen, um mit ihr zusammen zu dem alten Haus zu fahren. „ Wenn die Polizei nicht reagiert“ , überlegt sie, „ müssen wir ihn eben selbst zur Rede stellen und herausfinden, ob er etwas mit Laura zu tun hatte.“
Alleine möchte sie nicht gehen. Der Kerl war so unverschämt, als er sie damals nassspritzte. Und er wirkte ziemlich muskulös. Bestimmt wäre es besser, jemanden an ihrer Seite zu haben, falls sie ihn mit ihren Fragen in Bedrängnis bringt. Nicht dass Jochen ein großer Kämpfer wäre, aber sie würde sich sicherer fühlen, mit ihm an der Seite.
Tatjana drückt die Kurzwahltaste, wenig später hört sie das Freizeichen, nach ein paar Mal Klingeln geht Jochen an sein Handy. Sie verschwendet keine Zeit mit langen Erklärungen: „Jochen, du musst herkommen! Ich habe mir die Bilder von Laura noch mal angesehen und etwas darauf entdeckt. Einen Verdächtigen. Bei der Polizei war ich schon. Jochen, ich weiß, wo dieser Mann jetzt gerade ist. Du musst kommen und wir müssen…“
„Tatjana, es ist gerade schlecht“, unterbricht er sie. Er klingt nervös. „Ich stecke hier bis zum Hals in Arbeit und kann nicht einfach alles stehen und liegen lassen. Das geht nicht. Und wenn du sowieso schon bei der Polizei warst, dann kann die sich doch darum kümmern.“
„Jochen, ich glaube du verstehst nicht…“, setzt Tatjana zum Widerspruch an. Scharf schneidet er ihr das Wort ab: „Nein, Tatjana! DU verstehst nicht! Ich hatte dich darum gebeten, mir ein paar Tage Zeit zum Nachdenken zu lassen. Du kannst nicht einfach bei mir anrufen und verlangen…“
„Jochen, kommst du wieder ins Bett?“ Leise, aus dem Hintergrund kommend, aber doch deutlich verständlich, unterbricht eine weibliche Stimme seinen Redefluss.
„Wer war das?“, fragt Tatjana, mit einem Mal hellhörig geworden. „Was?“ Jochen stellt sich unwissend.
„Jochen, hör auf, mich für dumm zu verkaufen!“ Tatjana kreischt nun in den Telefonhörer. „Ich bin nicht taub! In wessen verwanztes Bett sollst du zurückkriechen?“
„Tatjana, hör zu, ich wollte… Du solltest es nicht so erfahren. Ich wollte es dir in aller Ruhe erklären, wenn ich…“, stammelt er etwas hilflos.
„Wenn du was?“ Tatjanas Stimme ist kurz davor sich zu überschlagen: „ES MIR IN RUHE ERKLÄREN?“
Schlagartig realisiert sie, was diese Worte zu bedeuten haben. Jochen hat sich längst irgendein Flittchen gesucht, mit der er sich vergnügt, während sie vor Sorge um ihr Kind fast den Verstand verliert. Eine Sorge, mit der er sie vollkommen allein dastehen lässt. Eine Welle des Hasses schwappt in ihr hoch, kehrt die Liebe und Sehnsucht, die sie zuvor empfand in Sekundenschnelle um, wandelt sie in blanke Wut.
„Spar dir deine Erklärungen! Du bist ein Arschloch! Ein dreckiges, herumhurendes Schwein! Zwischen uns ist alles gesagt! Lass dich bloß nie wieder bei mir blicken, hörst du? Ich wünsche dir und deiner kleinen Schlampe ein schönes Leben!“ Sie macht sich nicht die Mühe, das Gespräch durch Druck auf eine Taste zu beenden. Stattdessen schleudert sie das Telefon mit voller Wucht gegen die Wand. Das billige Plastik, aus dem es gemacht ist, zerspringt und in Einzelteilen regnet es auf den Boden. Tatjana rennt hinüber ins Schlafzimmer, zerrt dort die Kleidungsstücke aus dem Schrank, die er nicht mitgenommen hat. Bald liegt ein unordentlicher Haufen davon zu ihren Füßen. Nun stürmt sie in die Küche, öffnet dort die Schränke und durchwühlt sie nach Säcken von der Altkleidersammlung, die dort noch irgendwo liegen
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