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Fida (German Edition)

Fida (German Edition)

Titel: Fida (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Maucher
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Eine gewaltige Bohnenranke ragte aus dem Boden und wuchs bis in den Himmel, und dort, ganz oben, kaum noch zu erkennen, lugte ein kleines Häuschen aus den Wolken hervor. Irina lachte. Der Spinner ließ sich wirklich immer wieder etwas Neues einfallen. Wer außer ihm – und ihr natürlich – sollte es denn schaffen, so hoch hinauszuklettern? Sie griff nach den ersten Blättern, die sich trotz der klirrenden Kälte weich und geschmeidig in ihre Handflächen schmiegten.
     
    Nach der Hälfte der Strecke war Irina so erschöpft, dass sie eine Pause machen musste. Sie schlang ein Bein um einen kräftigen Blattstiel, vergrub die steifgefrorenen Hände zum Wärmen in ihrer Lederjacke, beugte sich zur Seite und sah nach unten. Sie war schon verdammt hoch!
     
    „Echt, Patrik!“, fluchte sie leise. „Das nächste Mal bitte etwas nicht ganz so Ausgefallenes!“
     
    Eine Bö zerrte an der Bohnenranke und zwang sie zum Weiterklettern. Als sie endlich das Häuschen in den Wolken erreichte, war sie außer Atem, durchgefroren und ausnehmend gut gelaunt. Das war ganz gewiss der absonderlichste Ort, den er sich bisher ausgesucht hatte!
     
    „Du bist wirklich ein Spinner!“, sagte sie lachend, als sie sich über die Schwelle hievte und zu Boden plumpsen ließ. Sie rappelte sich auf und sah sich um. Die Wände geformt aus knorrigem, rotem Wurzelholz, welches kleine Zweige in den Raum hineinstreckte, die ihr fröhlich mit grünen Blättern zuwinkten. In einem offenen Kamin brannte ein Feuer und empfing sie mit behaglicher Wärme, in der Glut knackten Pinienzapfen. Neben dem Kamin saß der Besitzer dieses absonderlichen Heims.
     
    „Hallo du Spinner!“, begrüßte sie ihn. „Was hast du dir bloß dabei gedacht.“
     
    „Hallo Irina“, erwiderte Patrik schmunzelnd.
     
    Irina warf einen Blick aus dem Fenster, diese Hütte lag wirklich in den Wolken, hinter dem Glas drängten sich graue Nebelfetzen.
     
    „Ich glaube nicht, dass Rapunzel den Weg hier schafft“, sagte sie, „auch wenn sie nach der Sache mit ihrem Turm ja schon ein wenig Kletterübung haben muss.“
     
    Patrik zog fragend die Augenbrauen hoch. Er saß in einer riesigen Lagerhalle einer lange stillgelegten Fabrik. Hierher zu kommen stellte für niemanden – oder zumindest nicht für viele – ein Hindernis dar.
     
    „Ah!“, machte Irina, die sich vom Fenster abgewandt hatte, begeistert und deutete auf Patriks Beine, „Webst immer noch die alten Zauber, was?“
     
    Patrik sah auf die alte, zerschlissene Decke über seinen Knien, die Irina zu meinen schien. Die Decke war schmutzig und feucht, seine Hände ruhten schlaff auf dem fadenscheinigen Stoff, bleich in dem grauen Licht, welches durch das große Fenster mit dem brüchigen Glas fiel.
     
    „Wo sind die denn die sieben Zwerge?“, fragte Irina.
     
    Patrik schaute sich um. Er und Irina waren allein, aber am anderen Ende der Lagerhalle, hinter einer eisernen Schiebetür, die sich nur noch einen winzigen Spaltbreit öffnen ließ, erklangen leise Stimmen.
     
    „Neun“, meinte er. „Es sind neun Zwerge, und ich denke, sie spielen hier irgendwo.“
     
    „Neun“, murmelte Irina und ließ ihn stehen, um sich umzusehen. „Wirklich, alle anderen haben sieben! Aber nein, er hat neun!“
     
    Patrik schaute ihr nach, wie sie durch die nasse und kalte Halle schlich und schließlich mit einem entzückten Gesichtsausdruck auf den kleinen Campingkocher zusteuerte, der neben der ehemaligen Laderampe auf einem Hocker stand. Unter dem Hocker, fein säuberlich aufgeschichtet, lag angeschlagenes Geschirr, Becher ohne Henkel, Tassen mit Sprung, halbe Teller, verbogene Gabeln, Löffel und Plastikmesser. In einer Pappkiste ein paar Teebeutel, eine angebrochene Packung Kekse und Tütensuppen.
     
    „Echt!“, lachte Irina, als sie in der Kiste wühlte, „Ich will wirklich nicht wissen, wo du das alles wieder herhast. Hast du in letzter Zeit einen bösen Zauberer ausgeraubt?“
     
    „Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte Patrik lächelnd und versuchte ernst zu klingen.
     
    Er atmete tief durch und sah Irina dabei zu, wie sie den Campingkocher anzündete, einen Emaillebecher auf die Flammen setzte und aus einer Plastikflasche Wasser hineingoss. Für einen Moment schloss er die Augen. Er wusste, er war glücklich, lauschte dem fernen Gemurmel der Kinderstimmen, dem Klappern der Becher, als Irina den Tee kochte und dem leisen Heulen des Windes, der irgendwo in dieser verlassenen Fabrik mit rostigen

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