Fieber an Bord
goldbetreßten Hut unter dem einen Arm, war er ein Mann nach dem Herzen jeder Frau. Er war stark von der Sonne gebräunt, und sein schwarzes Haar mit der rebellischen Locke über dem einen Auge schimmerte im gedämpften Sonnenlicht wie Rabenflügel. Er wirkte gelassen und zeigte nicht mehr die verhaltene Spannung, die Sayer an ihm bemerkt hatte, als er zum erstenmal in den Hafen eingelaufen war.
»Setzen Sie sich, Richard.« Sayer sah ihn unsicher an. »Ich bin gerade vom Gouverneur zurückgekommen. Es dauerte Stunden, und ich bin halbtot vor Erschöpfung.«
»Tut mir leid, Sir. Aber ich hoffe, der Besuch hat sich gelohnt.«
»Gelohnt?« Der Kommodore sah ihn grimmig an. »Ich dachte, er würde einen Anfall bekommen!« Ungeduldig öffnete er einen hängenden Weinkühler und nahm Flasche und Gläser heraus. »Verdammt, Richard, stimmt das mit Ihnen und Raymonds Frau?« Er drehte sich schnell um und verschüttete dabei Wein. »Denn wenn es so ist, dann fordern Sie Ärger heraus!«
Bolitho nahm das angebotene Glas und ließ sich Zeit. Es war vorauszusehen gewesen. Nach allem, was geschehen war, hatte es kommen müssen. Warum also die Überraschung?
Er erwiderte: »Ich weiß nicht, was man Ihnen hinterbracht hat, Sir.«
»Um Himmels willen, Richard, spielen Sie doch nicht mit Worten! Wir sind beide Seeleute, wir wissen, wie solche Dinge geschehen. Mein Gott, nach Ihrem tollkühnen Rettungsunternehmen würde sich Ihnen heute abend in Sydney jede Frau hingeben!«
Bolitho stellte sein Glas ab. »Viola Raymond ist kein billiges Flittchen, Sir. Ich habe sie vor fünf Jahren kennengelernt. Dann glaubte ich, es sei alles vorüber, obwohl es in Wahrheit erst begonnen hatte. Sie ist mit dem falschen Mann verheiratet. Er ist ordinär, arrogant und gefährlich.« Bolitho hörte seine gelassene Stimme, wie ein zufälliger Zeuge. »Ich habe nichts anderes zu bedauern als die verlorenen Jahre. Wenn Viola nach England zurückkommt, wird sie ihre Londoner Wohnung verlassen und auf meine Rückkehr warten.« Er blickte auf, seine Stimme war ganz ruhig. »Ich liebe sie sehr.«
Sayer sah ihn ernst an. Er war über diese Enthüllung betroffen, aber Bolithos Aufrichtigkeit und seine Bereitschaft, seine Hoffnungen mit ihm zu teilen, rührten ihn.
Er sagte: »Der Gouverneur schickt heute abend mit der Quai l seine Berichte nach England. Dabei wird sich auch ein Antrag befinden, die Tempes t in heimische Gewässer zurückzuverlegen. Das entspricht Ihren Wünschen, wenn auch nicht Ihren Gründen. Aber es wird Monate dauern, bis diese Berichte angekommen sind und beantwortet werden. Inzwischen kann alles mögliche geschehen.«
»Ich weiß, Sir. Danke, daß Sie mich darüber unterrichten.« Durch die Enthüllung der Pläne des Gouverneurs hatte Sayer seine Sorge zu erkennen gegeben. Wenn Bolitho wollte, konnte er jetzt seine eigenen Berichte und Briefe mit demselben Schiff absenden. Auch wenn er keinen Einfluß besaß, hatte er doch zahlreiche Freunde. Es rührte ihn, daß Sayer sich in seinem Interesse so offen zeigte. Nachdenklich sagte der Kommodore: »Ich weiß wenig von James Raymond, aber was ich von ihm gesehen habe, halte ich für unerfreulich.«
»Wir haben beide unsere festen Positionen bezogen, Sir.« Bolitho konnte ihre Augen vor sich sehen, ihre Haut fühlen, die Berührung ihres langen, rotgoldenen Haares spüren.
»Viola wird auf meine Rückkehr nach England warten.«
»Sie wird nicht nach England fahren, Richard.« Sayer war bei den eigenen Worten elend zumute. »Sie wird Raymond zu seinem neuen Amtssitz auf den Levu-Inseln begleiten müssen.« Er stand schnell auf. »Glauben Sie mir, sie hat keine andere Wahl. Der Gouverneur ist verpflichtet, Raymond zu unterstützen, und was Sie auch an Überedungskraft oder Geldmitteln aufwenden, es kann nicht dazu führen, daß Viola Raymond an Bord der Quai l nach England fährt.«
Bolitho blickte ihn fest an. »Dann wird sie in Sydney bleiben, bis ...«
»Möchten Sie das wirklich?« Sayer wandte sich ab. »Mit welchem hämischen Vergnügen wird man sie hier demütigen. Skandale sind bei uns gefragt, die kleinen und neidischen Geister hier leben vom Klatsch.«
Bolitho wollte es nicht glauben, aber er wußte dennoch, daß Raymond für einen Skandal sorgen würde. Wenn er sie schon nicht auseinanderbringen konnte, würde er dafür sorgen, daß sie in Bedrängnis gerieten.
»Aber in der Südsee, Sir?« gab Bolitho zu bedenken. »Wie lange kann eine Frau das aushallen? Hier ist es
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