Fieber an Bord
segelbereit ist.« Er bemerkte die Überraschung in Borlases Augen. »Machen Sie schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
Herrick kam auf ihn zugeeilt. »Entschuldigen Sie, daß ich nicht hier war, um Sie zu begrüßen, Sir. Ihre Gig muß Rückenwind gehabt haben.«
Bolitho nickte flüchtig. »Ich möchte, daß Sie das Kommando über den Schoner übernehmen. Thomas. Setzen Sie die einheimische Besatzung und Hardacres Milizen ein, aber nehmen Sie auch Prideaux und zwanzig Soldaten mit.« Er klopfte ihm auf die Schulter. »Aktion, Thomas. Die richtige Art, das neue Jahr anzufangen, wie?«
Herrick starrte ihn an, als sei er verrückt geworden. Doch dann nickte er. »Richtig, Sir, morgen ist ja der 1. Januar 1790! Jeden Tag habe ich das Logbuch geführt und jetzt doch nicht darauf geachtet.« Er ging auf den Niedergang zu und rief nach dem Bootsmann.
Bei der Heckreling blieb Bolitho stehen, um ein Mindestmaß an Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Ein neues Jahr ... Er hatte gehofft, es würde anders beginnen. Die schöne Umgebung, der stille Strand, das alles machte es ihm nur noch schwerer, hinzunehmen, daß auch Viola hier war, aber ihm versagt blieb. Er seufzte tief auf. Und morgen mußten sie, wenn die Umstände es verlangten, schon wieder um ihr Leben kämpfen.
Er beobachtete die Boote, die aus verschiedenen Richtungen auf das Schiff zustrebten. Die Mannschaft des Zimmermanns und des Zahlmeisters, das Wachtboot und der Arzt, der wahrscheinlich an Land gegangen war, um die Flora zu studieren.
Einige seiner Leute hatten andere Ablenkungen im Sinn gehabt, und jeder hatte damit gerechnet, daß sie wenigstens ein paar Tage und Nächte vor Anker blieben.
Er beschattete seine Augen mit der Hand und blickte zum Mast hinauf. Der Wimpel wehte unverändert im kräftigen Wind.
Er ging auf den Niedergang zu. Als Kommandant eines Kriegsschiffs mußte man sich Respekt verschaffen. Aber beliebt zu sein und zu bleiben, war manchmal viel schwerer.
Bolitho schritt gemächlich an der Luvseite des Achterdecks auf und ab. In Gedanken ging er noch einmal die Pläne durch, während sein Blick zu den nächsten Inseln wanderte, die querab langsam vorbeizogen. Ihre Gipfel und Klippen leuchteten in dem prachtvollen Sonnenuntergang wie von mattem Kupfer überzogen.
In Lee direkt voraus lag Hardacres kleiner Schoner, und dahinter kündigten dunkle Schatten den bevorstehenden Einbruch der Nacht an.
Auf der anderen Seite des Decks unterhielten sich seine Offiziere leise miteinander. Sie bewunderten den Anblick und diskutierten darüber, was ihnen wohl bevorstand. Es war ungewohnt, Herrick nicht an Deck zu sehen und seine vertraute Stimme nicht zu hören. Doch in gewisser Weise war seine Abwesenheit auch eine Wohltat, denn sie erlaubte Bolitho, für sich zu bleiben, sich stärker auf seine Überlegungen zu konzentrieren.
Er hörte Lakey mit seinen zwei Maaten murmeln und vermutete, daß er seine schon geäußerten Zweifel und Sorgen wiederholte. Die hiesige Gegend, die verstreuten Inseln und Erhebungen der Levu-Gruppe waren auf Karten kaum erfaßt, Wassertiefen und Entfernungen nur ungenau angegeben und wahrscheinlich nur aufgrund von Vermutungen.
Aber die Besatzung des Schoners kannte sich gut aus, und Herrick würde sie zweifellos zu großer Vorsicht mahnen und an den viel größeren Tiefgang der Fregatte erinnern. Die Nordinsel war sehr klein, mit hohen Bergen und einer tief eingeschnittenen, engen Bucht im Nordosten, die wie mit der Axt herausgehackt wirkte. Die Bevölkerung lebte in einem einzigen Dorf und war laut Hardacre für ihren Lebensunterhalt völlig auf das Meer angewiesen. Vielleicht hatte Tuke sich dort eine neue Basis geschaffen oder suchte Vorräte und Wasser für seine Schiffe. Er verfügte also über mindestens zwei Schoner. Viola hatte sich darin nicht getäuscht.
Bolitho stellte fest, daß er schon wieder an Raymond dachte, sich fragte, welche Hoffnungen er wirklich hegen mochte. Vermutlich würde er auf den Inseln bleiben, bis mehr Unterstützung eintraf: die übliche Karawane von Sekretären und Aufsehern. Der größte Teil seiner ursprünglichen Mitarbeiter war entweder von Tukes Piraten ermordet worden oder in Sydney zurückgeblieben, um ihre Verletzungen auszuheilen oder die Angelegenheiten von Verwandten und Freunden zu ordnen, die ebenfalls ums Leben gekommen oder von Tuke verschleppt worden waren. Raymond hatte Glück gehabt – oder war dieser Tuke gerissener, als jeder ihm zugestehen wollte?
Weitere Kostenlose Bücher