Fieber
Michelles Leukämiezellen getestet. Das Ergebnis war dramatisch gewesen. Die T-Lymphozyten hatten die Leukämiezellen sofort aufgelöst und zerstört. Ungläubig hatte Charles die Reaktion unter dem Phasenkontrastmikroskop beobachtet. Sie verlief so schnell, daß er es anfangs gar nicht fassen konnte. Nachdem er seine T-Lymphozyten gegen ein Oberflächenprotein auf den Leukämiezellen sensibilisiert hatte, konnten sie jetzt offenbar die Membranen der Leukämiezellen durchdringen. Charles hatte vor Freude laut aufgejauchzt, als er die Reaktion sah.
Nach diesen erfolgreichen Testergebnissen hatte er auf die Injektion einer weiteren Dosis des Antigens verzichtet. Cathryn war darüber mehr als froh gewesen. Sie hatte die Prozedur von Mal zu Mal unangenehmer gefunden. Aber dann hatte Charles angekündigt, daß er sich einen Liter Blut abzapfen müßte, um mit Michelles Behandlung beginnen zu können.
Cathryn war bei seinen Worten grün im Gesicht geworden. Doch Chuck hatte seine Abneigung gegen fremdes Blut überwunden, und gemeinsam mit Jean Paul hatte er Charles bei der Blutabnahme geholfen.
In einem der Laborgeräte aus dem Weinburger-Institut hatte Charles noch vor dem Essen langsam die weißen Blutkörperchen aus seinem Blut isoliert. Am frühen Abend hatte er sich dann an die schwierige Aufgabe gemacht, aus den weißen Blutzellen das Molekül zu gewinnen, das jetzt im Sterilisator stand.
Charles wußte genau, daß er bei seinem ganzen Versuch blind auf das Glück vertraute. Unter normalen Laborbedingungen hätte das, was er in den letzten Tagen erreicht hatte, Jahre in Anspruch genommen. Denn jeder einzelne Schritt des Experiments wäre dann kritisch untersucht und Hunderte von Malen wiederholt worden. Dennoch hatte er mit seinem Versuch auch kein Neuland in der Wissenschaft betreten. Andere Forscher hatten mit anderen Antigenen wie dem Tuberkulosebazillus lange vor ihm dieselben Experimente durchgeführt. Aber etwas unterschied Charles von den großen Forschern der Vergangenheit: Er kannte nicht die Struktur des Moleküls in der Lösung, die er erhalten hatte, er wußte nicht, in welcher Konzentration es vorhanden war, und er kannte auch nicht die Wirkungsstärke des Moleküls. Ihm blieb nicht einmal lange Zeit zu überlegen, wie er es Michelle am besten geben sollte. Alles, was er hatte, war Theorie: daß es in Michelles Körper einen Blockierungsfaktor gab, der ihr Immunsystem daran hinderte, auf das Antigen ihrer Leukämiezellen zu reagieren. Charles glaubte und hoffte, daß der Übertragungsfaktor dieses Blockierungs- oder Sperrsystem überwinden würde, so daß Michelles Körper eine Abwehrreaktion gegen die Leukämiezellen entwickeln konnte. Aber wieviel von der Lösung mit dem Übertragungsfaktor sollte er ihr verabreichen? Und wie? Ihm blieb nichts anderes übrig als zu improvisieren und zu beten.
Michelle war erst nicht sonderlich begeistert von der Idee, aber dann ließ sie sich von Charles doch wieder eine Kanüle anlegen. Cathryn hatte sich zu ihnen ans Bett gesetzt. Sie hielt Michelles Hand und versuchte, ihre Tochter abzulenken. Diebeiden Jungen waren in den ersten Stock gegangen, um bei der kleinsten verdächtigen Bewegung vor der Tür sofort Alarm geben zu können.
Ohne Cathryn oder Michelle ein Wort davon zu sagen, hatte Charles sich alles bereitgelegt, um bei jeder nur erdenklichen Reaktion, die eintreten konnte, wenn er Michelle die erste Dosis von dem Übertragungsfaktor gab, sofort eingreifen zu können. Denn obwohl er die Lösung mit sterilem Wasser verdünnt hatte, machte er sich immer noch Sorgen um mögliche Nebenwirkungen. Nachdem er Michelle eine kleine Dosis der Lösung gegeben hatte, prüfte er ihren Puls und ihren Blutdruck. Charles atmete erleichtert auf, als er keine Gegenreaktion feststellen konnte.
Um Mitternacht versammelte sich die Familie wieder im Wohnzimmer. Charles hatte Michelle annähernd ein Sechzehntel der Lösung mit dem Übertragungsfaktor verabreicht. Die einzige Reaktion ihres Körpers war ein leichtes Ansteigen des Fiebers gewesen, und Michelle war plötzlich in einen tiefen Schlaf gefallen.
Sie beschlossen, daß während der Nacht jeder für zwei Stunden Wache halten sollte. Sie waren alle müde und erschöpft, aber Chuck bestand darauf; die erste Wache zu übernehmen. Er ging in den ersten Stock, um einen besseren Blick zur Straße zu haben. Charles und Cathryn waren sofort eingeschlafen. Jean Paul lag noch eine Zeitlang wach und lauschte auf die Schritte
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