Fieber
vornherein als tödliche Krankheit ansieht, und jeden Tag nimmt, wie er kommt.«
»Genausogut können Sie einem Menschen auf dem Sterbebett empfehlen, nicht an den Tod zu denken«, murmelte Charles.
»Dr. Martel«, sagte Dr. Keitzman scharf. »Als Arzt sollten Sie auf diese Krise deutlich anders reagieren.«
»Das ist leicht gesagt, wenn der Kranke nicht zur eigenen Familie gehört«, antwortete Charles. »Unglücklicherweise habe ich das schon einmal erleben müssen.«
»Ich glaube, wir sollten jetzt über die Therapie sprechen«, schlug Dr. Wiley vor. Es war das erste Mal, daß er sich an dem Gespräch beteiligte.
»Dem kann ich nur zustimmen«, sagte Dr. Keitzman. »Wir müssen die Behandlung sobald wie möglich beginnen. Am liebsten würde ich sie noch heute beginnen, sobald die notwendigen Voruntersuchungen abgeschlossen sind. Aber natürlich brauchen wir Ihre Einwilligung zur Behandlung, angesichts der Wirkungsweise der Medikamente.«
»Trotz der geringen Aussicht auf eine Remission sind Sie sich sicher, daß das Risiko es wert ist, Michelle den Nebenwirkungen auszusetzen?«
Charles sprach jetzt viel ruhiger, aber in seinen Gedanken formte sich das erschreckende Bild von Elisabeth in ihren letzten Monaten, die ständige Übelkeit, der Haarausfall … Er schloß die Augen.
»Ja, ich bin mir absolut sicher«, sagte Dr. Keitzman mit fester Stimme. »Ich denke, es ist eindeutig nachgewiesen, daß wir große Fortschritte in der Behandlung der Kinderleukämie gemacht haben.«
»Das steht außer Zweifel«, bestätigte Dr. Wiley.
»Es hat Fortschritte gegeben«, stimmte Charles zu. »Aber leider nicht bei der Leukämie, die Michelle hat.«
Cathryns Augen flogen von Charles zu Keitzman und dann zu Wiley. Sie hatte sich Einmütigkeit erwartet und erwünscht, auf die sie ihre Hoffnung bauen konnte. Statt dessen erlebte sie nichts als Streit und Erbitterung.
»Ich glaube, für jede Form der Leukämie ist eine aggressive Behandlungsmethode die einzig richtige«, sagte Dr. Keitzman. »Wie groß auch die Chance für eine Remission immer sein mag. Jeder Patient verdient die Chance, zu leben, egal, welcher Preis dafür zu zahlen ist. Jeder Tag, jeder Monat ist kostbar.«
»Sogar dann, wenn der Patient sein Leiden lieber beenden würde«, ergänzte Charles. Er dachte an Elisabeths letzte Tage. »Wenn die Aussichten auf eine Remission unter zwanzig Prozent liegen – von einer Heilung will ich gar nicht sprechen –, dann weiß ich nicht, ob es der Versuch wirklich wert ist, ein Kind noch größeren Qualen auszusetzen.«
Dr. Keitzman schob abrupt seinen Stuhl zurück und stand auf. »Wir beurteilen den Wert des Lebens offensichtlich sehr unterschiedlich. Ich sehe in der Chemotherapie eine wirklich bemerkenswerte Waffe gegen Krebs. Aber natürlich haben Sie das Recht auf Ihre eigene Meinung. Wie auch immer, ich habe den Eindruck, daß Sie lieber einen anderen Onkologen heranziehen möchten oder es vorziehen, die Behandlung Ihrer Tochter selbst durchzuführen. Ich wünsche Ihnen viel Glück.«
»Nein!« Cathryn sprang von ihrem Platz, erschreckt von der Aussicht, von Dr. Keitzman alleingelassen zu werden. Dr. Wiley hatte doch gesagt, daß er der Beste ist. »Wir brauchen Sie, Dr. Keitzman. Michelle braucht Sie.«
»Ich glaube nicht, daß Ihr Mann diese Ansicht teilt, Mrs. Martel«, sagte Dr. Keitzman.
»Sie täuschen sich«, antwortete Cathryn. »Er ist jetzt nur verwirrt. Bitte, Dr. Keitzman.« Cathryn drehte sich zu Charles und legte ihm ihre Hand auf den Nacken. »Charles, bitte! Wir können diesen Kampf nicht alleine führen. Heute morgen hast du noch gesagt, daß du kein Kinderarzt bist. Wir brauchen Dr. Keitzman und Dr. Wiley.«
»Ich glaube, Sie sollten zustimmen«, drängte Dr. Wiley.
Charles sank unter der Last seiner hilflosen Grübeleien zusammen. Er wußte, daß er Michelles Behandlung nicht übernehmen konnte, selbst wenn er überzeugt war, daß die übliche Behandlungsmethode bei Michelles besonderer Krankheit falsch war. Er hatte nichts anderes vorzuschlagen, seine Gedanken kreisten in einem Wirbel widerstreitender Gefühle.
»Charles, bitte!« flehte Cathryn.
»Michelle ist ein krankes kleines Mädchen«, wiederholte Dr. Wiley.
»Also schön«, sagte Charles leise. Zum zweiten Mal war er gezwungen, sich zu unterwerfen.
Cathryn sah zu Dr. Keitzman. »Haben Sie gehört! Er hat zugestimmt.«
»Dr. Martel«, fragte Dr. Keitzman. »Wünschen Sie, daß ich diesen Fall als Onkologe
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