Fieber
Krankenhausnachthemdes hervorragten, sahen unglaublich zart und schwach aus. Ihr Hals, der ihm immer kräftig erschienen war, wirkte jetzt nicht stärker als sein Unterarm. Sie sah aus wie ein zierlicher, verwundbarer Vogel. Charles wußte, daß irgendwo im Innern ihres Knochenmarks eine Gruppe ihrer eigenen Zellen Krieg gegen ihren Körper führte. Und es gab nichts, was er tun konnte, um ihr zu helfen – gar nichts.
»Dr. Wiley und Dr. Keitzman werden nur die Untersuchungen machen, die sie wirklich brauchen«, sagte Cathryn. »Du wirst ein tapferes Mädchen sein.«
Cathryns letzter Satz hatte einen Beschützerinstinkt in Charles geweckt. Auch wenn er eingestehen mußte, daß er Michelle nicht helfen konnte, so konnte er sie aber doch zumindest vor überflüssigen traumatischen Leiden schützen. Er wußte nur allzu gut, daß Patienten mit seltenen Krankheiten sehr oft allen nur erdenklichen körperlichen Qualen ausgeliefert wurden, ganz nach der Laune des behandelnden Arztes. Mit seiner linken Hand griff Charles nach dem Plastikbehälter und drehte ihn so, daß er die Aufschrift lesen konnte. Thrombozyten. Er drehte sich zu Dr. Wiley um.
»Wir waren der Meinung, daß sie sofort Blutplättchen brauchte«, sagte Dr. Wiley. »Ihr Wert lag nur noch bei zwanzigtausend.«
Charles nickte.
»Ich muß jetzt leider gehen«, sagte Dr. Keitzman. Durch die Bettdecke griff er nach einem Fuß von Michelle. »Wir sehen uns dann später, Miß Martel. Es werden im Laufe des Tages auch noch einige andere Ärzte zu dir kommen, um mit dir zu sprechen. Durch den Schlauch da geben wir dir ein bißchen Medizin. Also halte den Arm schön still.«
Charles warf einen schnellen Blick auf die Infusionsflasche: Daunorubicin! Eine Woge der Angst flutete durch seine Brust und das Verlangen, seine kleine Tochter aufzuheben und aus den Klauen des Krankenhauses zu befreien. Ein aberwitziger Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Vielleicht mußte er Michelle nur fortbringen von all diesen Leuten, und der ganze Alptraum würde verschwinden.
»Wenn Sie mich sprechen wollen, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung«, sagte Dr. Keitzman und ging zur Tür.
Cathryn bedankte sich mit einem Lächeln für das Angebot und nickte. Sie merkte, daß Charles nicht einmal mit einem Blick auf Dr. Keitzmans Freundlichkeit antwortete. Statt dessen hatte er sich zu Michelle hinuntergebeugt und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Cathryn hoffte, daß sein Schweigen den Onkologen nicht aufs neue verärgern würde.
»Ich bin draußen vor der Tür«, sagte Dr. Wiley und ging Dr. Keitzman nach. Auch die Oberschwester, die stumm im Hintergrund gestanden hatte, verließ das Zimmer.
Auf dem Flur verlangsamte Dr. Keitzman seinen Schritt, so daß Dr. Wiley zu ihm aufschließen konnte. Gemeinsam gingen sie zur Schwesternstation.
»Ich befürchte, daß Charles Martel aus diesem Fall eine sehr schwierige Angelegenheit machen wird«, sagte Dr. Keitzman.
»Ich muß Ihnen wohl leider zustimmen«, entgegnete Dr. Wiley.
»Wenn da nicht dieses arme Kind wäre, ich hätte Martel gesagt, daß er den Mund halten soll«, sagte Dr. Keitzman. »Hätten Sie diesen Unsinn über die Chemotherapie und daß wir sie nicht anwenden sollen für möglich gehalten? Mein Gott! Man sollte doch annehmen dürfen, daß ein Mann in seiner Position informiert ist über die Fortschritte, die wir mit der Chemotherapie gemacht haben, besonders bei der lymphozytischen Leukämie und der Hodgkinschen Krankheit.«
»Er weiß das alles«, sagte Dr. Wiley. »Nur, seine Verzweiflung macht ihn blind. Das ist auch verständlich, wenn man weiß, daß er das alles schon einmal beim Tod seiner ersten Frau durchgemacht hat.«
»Trotzdem verurteile ich sein Verhalten. Er ist immerhin Arzt.«
»Aber er ist ein reiner Wissenschaftler«, sagte Dr. Wiley. »Seit fast zehn Jahren ist er aus der klinischen Medizin heraus. Er ist ein gutes Beispiel dafür, daß die Forscher zumindest mit einem Bein in der Praxis bleiben sollten, damit sie nicht das richtige Verhältnis zur Wirklichkeit verlieren. Schließlich sind beide Seiten in der Sorge um die Menschen miteinander verbunden.«
Sie erreichten die Schwesternstation. Beide lehnten sich gegen den Auskunftsschalter und sahen mit abwesendem Blick auf das fleißige Durcheinander.
»Für einen Moment hat mich Charles’ Zorn erschreckt«, nahm Dr. Wiley das Gespräch wieder auf. »Ich dachte, daß er völlig die Beherrschung verlieren würde.«
»In meinem Zimmer hat er sich
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