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Fieber

Titel: Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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zog die Schutzhülle hoch, es war ein Zeiss mit Doppeltubus. Charles setzte sich, stellte die Okulare ein und schaltete das Licht an. Dr. Wiley zog eine Schublade auf und nahm einen Karton mit Objektträgern heraus. Vorsichtig hob er einen Objektträger heraus. Als er ihn Charles entgegenhielt, trafen sich ihre Blicke. In Dr. Wileys Augen glich Charles einem eingekesselten Tier. Mit Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand griff Charles nach dem Objektträger. In seiner Mitte war ein Abdeckglas, unter dem ein unscheinbarer Schmierfleck zu sein schien. Auf dem unteren Glasträger war ein Kennzeichen angebracht: Michelle Martel Nr. 882.673 Knochenmark. Charles’ Hände zitterten, als er den Träger auf den Objekttisch des Mikroskops legte und einen Öltropfen auf das Abdeckglas fallen ließ. Dann beugte er sich zur Seite und senkte die Ölimmersionslinse ab, bis sie fast den Objektträger berührte und in den Öltropfen eintauchte.
    Charles atmete noch einmal tief ein und legte die Augen auf die Okulare. Mit nervöser Spannung regelte er die Sehschärfe ein. Im selben Moment löste sich der Nebel in eine so unüberschaubare Zahl blaßblauer Zellen auf, daß Charles der Atem stockte und das Blut in seinen Schläfen heftig zu pochen begann. Ein angstvolles Zittern durchlief seinen Körper, als ob er sein eigenes Todesurteil lesen müßte. Anstelle der gewöhnlichen Zellpopulation in allen Reifungsstadien war Michelles Markgewebe fast gänzlich von großen unförmigen Zellen durchsetzt mit ebenso großen unnatürlichen Zellkernen, die eine Vielzahl von Zellkörperchen enthielten. Charles wurde von einem unendlichen Entsetzen ergriffen.
    »Ich nehme an, Sie stimmen jetzt zu, daß unsere Diagnose schlüssig war«, sagte Dr. Wiley ruhig.
    Krachend fiel sein Hocker nach hinten, als Charles plötzlich aufsprang. Blinde Wut, Wut, die sich von den Ereignissen des Vormittags angestaut hatte und jetzt von Michelles Krankheit zur Explosion gebracht wurde, packte ihn. »Warum?« schrie er Dr. Wiley an, als ob der Kinderarzt Teil einer Verschwörung wäre, die ihn einzukreisen drohte. Er griff nach dem Kittel des Arztes und schüttelte Dr. Wiley in wildem Zorn.
    Erschreckt über die Veränderung, die in Charles vorgegangen war, sprang Cathryn auf und klammerte sich an ihn.
    »Charles, hör auf!« Sie wußte, wie dringend sie seine Hilfe jetzt brauchten. »Es ist nicht Dr. Wileys Fehler. Wenn jemand die Schuld hat, dann sind wir es.«
    Als ob er aus einem bösen Traum aufwachte, löste Charles verstört seinen Griff von Dr. Wiley, der gelähmt vor Überraschung stehenblieb. Seine Fliege hatte sich in einen bizarren Winkel verdreht. Charles bückte sich und hob den Stuhl auf, dann schlug er die Hände vors Gesicht.
    »Wir haben jetzt nicht über Schuld zu reden«, sagte Dr. Wiley und nestelte an seiner Fliege. »Wir müssen über die weitere Behandlung für das Kind sprechen.«
    »Wo ist Michelle?« fragte Charles. Cathryn ließ seinen Arm nicht los.
    »Sie ist bereits ins Krankenhaus aufgenommen worden«, sagte Dr. Wiley. »Sie liegt auf Anderson 6. Die Station wird von einer hervorragenden Schwester betreut.«
    »Ich möchte sie sehen«, sagte Charles mit schwacher Stimme.
    »Das sollen Sie auch«, antwortete Dr. Wiley. »Aber ich glaube, wir müssen vorher über ihre Behandlung sprechen. Hören Sie, Charles.« Dr. Wiley streckte beschwichtigend seine Hand aus, aber dann überlegte er es sich anders. Der Wutausbruch von Charles hatte auch ihm die Nerven geraubt. Er steckte die Hand in die Tasche. »Wir haben hier an der Kinderklinik eine der weltberühmtesten Autoritäten in der Kinderleukämie, Dr. Stephen Keitzman. Und mit Cathryns Erlaubnis habe ich bereits mit ihm gesprochen. Michelle ist ein sehr krankes kleines Mädchen, und je früher der Kinderonkologe in den Fall einbezogen wird, desto besser ist es. Dr. Keitzman hat sich einverstanden erklärt, sich mit uns zusammenzusetzen, sobald Sie es wünschen. Ich glaube, wir sollten jetzt mit ihm sprechen und erst dann zu Michelle gehen.«
    Anfangs hatte Cathryn noch ihre Zweifel mit Dr. Stephen Keitzman. Äußerlich war er das gerade Gegenteil von Dr. Wiley. Er war klein, sah noch sehr jung aus und hatte einen großen Kopf mit vollem, dunkelgelocktem Haar. Auf seiner schmalen Nase, deren Poren deutlich zu sehen waren, trug er eine randlose Brille. Sein Benehmen wirkte distanziert, seine Gesten waren nervös, und in den Sprechpausen überfiel ihnein absonderliches Gesichtszucken.

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