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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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sie. »Ich hätte nie gedacht, daß es so schlimm ist.« Sie blickte hinauf zur Sonne und scheute zurück, als hätte sie einen Schlag erhalten. Marsh sah mit gelindem Schrecken die lebhafte Röte in ihrem Gesicht.
    Joshua York rutschte in ihre Richtung, hielt jäh inne und schien zu schwanken. Er legte sich eine Hand auf die Stirn und tat einen tiefen Atemzug. Dann rückte er vorsichtig weiter. »Setz dich in meinen Schatten!« schlug er vor, »und zieh den Hut tiefer ins Gesicht.«
    Valerie kauerte sich auf den Boden der Jolle, so daß sie praktisch auf Joshuas Schoß saß. Er bückte sich und glättete den Kragen ihrer Jacke mit einer seltsam zärtlichen Geste. Dann legte er ihr eine Hand auf den Hinterkopf.
    Hier unten, so stellte Marsh fest, waren die Flußufer frei von jeglichem Wald, abgesehen von gelegentlichen Reihen von Ziersträuchern und jungen Setzlingen. Statt dessen sah man auf beiden Seiten sorgfältig kultivierte Felder und Äcker, eben und scheinbar endlos, hier und da unterbrochen von der Pracht eines an griechische Tempel erinnernden Plantagenbaus, dessen Kuppeldach sich über dem breiten stillen Fluß wölbte. Ein Stück weiter am westlichen Ufer schickte ein Haufen glühender Bagasse, Reste der Zuckerrohrstangen, eine Säule beißenden grauen Qualms in den Himmel. Der Haufen war so groß wie ein Haus; der Qualm legte sich wie ein schweres Tuch auf den Fluß. Marsh konnte keine Flammen sehen. »Vielleicht sollten wir lieber anlegen«, sagte er zu Joshua. »Hier sind überall Plantagen.«
    Joshua hatte die Augen geschlossen. Er schlug sie auf, als Marsh seinen Vorschlag machte. »Nein«, entschied er, »wir sind ihnen noch viel zu nahe. Wir müssen weiter weg von ihnen. Billy kann uns zu Fuß am Flußufer verfolgen, und wenn die Nacht anbricht . . . « Er ließ den Rest unausgesprochen.
    Abner Marsh knurrte etwas Unverständliches und ruderte. Joshua schloß die Augen wieder und zog sich den breitkrempigen Hut tiefer ins Gesicht.
    Für mehr als eine Stunde glitten sie schweigend flußabwärts. Die einzigen Laute waren das Plätschern, wenn das Ruder ins Wasser tauchte, und der gelegentliche Gesang eines Vogels. Toby Lanyard und Abner Marsh ruderten, während Joshua und Valerie zusammengekauert im Boot lagen, als schliefen sie, und Karl Framm sich unter einer Decke ausstreckte. Die Sonne stieg am Himmel immer höher. Es war ein kühler windiger Tag, aber er war von blendender Helligkeit. Marsh dankte im stillen den Pflanzern und den riesigen Haufen qualmender Bagasse, die die Ufer säumten, da der dahintreibende graue Rauchschleier ihrer Feuer den einzigen Schatten spendete, den das Nachtvolk finden konnte. Einmal schrie Valerie auf, als litte sie unter furchtbaren Schmerzen. Joshua schlug die Augen auf und beugte sich über sie, streichelte ihr langes schwarzes Haar und flüsterte ihr etwas zu. Valerie wimmerte. »Ich dachte, du wärst es, Joshua«, sagte sie. »Der bleiche König. Ich dachte, du seist gekommen, alles zu ändern, uns zurückzuholen.« Ihr ganzer Körper erbebte, als sie zu reden versuchte. »Die Stadt, mein Vater hat mir von der Stadt erzählt. Gibt es sie, Joshua? Die dunkle Stadt?«
    »Still«, sagte Joshua. »Schweig. Du strengst dich zusehr an.«
    »Aber gibt es sie? Ich dachte, du würdest uns nach Hause führen, in die Heimat, liebster Joshua. Ich habe davon geträumt, wirklich. Ich war so müde, ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich dachte, du seist gekommen, uns zu retten.«
    »Still!« sagte Joshua. Er versuchte, kraftvoll zu erscheinen, doch seine Stimme klang niedergeschlagen und erschöpft. »Der bleiche König«, flüsterte sie. »Er ist gekommen, uns zu retten. Ich dachte, du seist gekommen, uns zu holen, zu beschützen.«
    Joshua küßte sie zart auf die geschwollenen, blasenübersäten Lippen. »Das tat ich auch«, sagte er bitter. Dann legte er die Fingerspitzen auf ihren Mund, damit sie schwieg, und schloß erneut die Augen.
    Abner Marsh ruderte, während der Fluß sie umströmte, die Sonne vom Himmel auf sie herabbrannte und der Wind Rauch und Asche über das Wasser trieb. Ein Rußflöckchen geriet ihm irgendwie ins Auge, und Marsh fluchte und rieb daran, bis das Auge rot und geschwollen war und nicht mehr tränte. Mittlerweile war sein ganzer Körper ein einziges riesiges Schmerzinferno. Als sie zwei Stunden lang stromabwärts gerudert waren, begann Joshua zu reden, ohne die Augen zu öffnen und mit einer Stimme, die vor Schmerzen gepreßt klang. »Er

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