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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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leuchtete rot und verbrannt. »Julian ist alt, Abner, alt. Der Durst . . . er hat den Durst jahrelang nicht gespürt . . . Hunderte, Tausende . . . Jahre lang . . . deshalb hatte das Getränk . . . es hatte keine Wirkung auf ihn. Das wußte ich nicht, keiner von uns wußte das. Man kann den Durst überleben, und er . . . er hatte keinen Durst . . . aber er trank, denn er wollte es wegen jener Dinge, von denen er an jenem Abend sprach, Sie erinnern sich, Stärke und Schwäche, Meister und Sklaven, all das, was er dazu meinte. Manchmal denke ich . . . daß das Menschliche an ihm völlig hohl, falsch, eine Maske ist . . . er ist nichts anderes als ein altes Tier, so alt, daß er sogar jeglichen Geschmack für normale Nahrung verloren hat, aber er jagt weiter, denn das ist alles, woran dieses Tier sich noch erinnern kann, denn das ist es, was sein Wesen ausmacht, das Wesen dieser Bestie. Die Legenden Ihrer Rasse, Abner, Ihre Vampirgeschichten . . . von den lebenden Toten, den Untoten: Diese Namen tragen wir in Ihren Geschichten. Julian . . . ich glaube, bei Julian entspricht es der Wahrheit, bei ihm trifft es zu. Sogar der Durst existiert nicht mehr. Untot ist er, kalt und leer und untot.«
    Abner Marsh versuchte, in Gedanken eine Erwiderung zu formulieren, die darauf hinauslief, daß er die Vorsilbe ›un‹ aus Joshuas Beschreibung von Damon Julian streichen würde, als Valerie sich plötzlich im Boot aufrichtete. Marsh zuckte zusammen und erstarrte mitten in seinem Ruderschlag. Unter dem Schlapphut war Valeries Haut so rot und roh wie eine offene Wunde, mit Blasen übersät und straff gespannt, und sie hatte sich von einem hellen Rot verfärbt zu einem dunklen fleckigen Purpurton eines Blutergusses. Ihre Lippen waren aufgeplatzt, und sie zog sie in einem Kichern des Irrsinns zurück und entblößte dabei lange weiße Zähne. Das Weiße ihrer Augen hatte alles andere verschlungen, daher sah sie nun blind und wie dem Wahnsinn verfallen aus. »Es tut so weh!« kreischte sie, hob Hände, rot wie Hummerscheren, in dem verzweifelten Versuch über den Kopf, die Sonne von sich abzuwehren. Dann zuckten ihre Blicke durch das Boot und blieben an Karl Framms schwach atmender Gestalt hängen, und sie kroch mit gierig aufgerissenem Mund auf ihn zu. »Nein!« brüllte Joshua York. Er warf sich auf sie und riß sie zurück, ehe ihre Zähne sich in Framms Hals bohren konnten. Valerie kämpfte verzweifelt und schrie. Joshua hielt sie fest, bis sie sich nicht mehr rühren konnte. Valeries Zähne schlugen aufeinander, wieder und wieder, bis sie ihre eigene Lippe aufgerissen hatte. Ihr Mund versprühte einen Schaum aus Blut und Speichel. So heftig sie sich aber zur Wehr setzte, Joshua York war für sie ein zu starker Gegner. Schließlich schien jegliche Kraft aus ihr herauszusickern. Sie fiel nach hinten und starrte mit blinden weißen Augen zur Sonne hinauf.
    Joshua nahm sie verzweifelt in den Arm. »Abner«, sagte er, »die Lotleine. Darunter. Ich hab’s gestern abend dort versteckt, als sie loszogen, um Sie zu holen. Bitte, Abner!«
    Marsh hörte auf zu rudern und kroch zur Lotleine, der elf Meter langen Schnur, die zum Ausloten der Tiefe benutzt wurde und an deren Ende eine Röhre voller Bleischrot befestigt war. Unter den sorgsam zusammengelegten Windungen fand Marsh, was Joshua verlangte: eine etikettlose Weinflasche, mehr als dreiviertelvoll. Er reichte sie York, der den Korken herauszog und sie an Valeries geschwollene und aufgerissene Lippen setzte. Die Flüssigkeit sickerte ihr am Kinn hinab, und der größte Teil benetzte ihr Hemd, aber Joshua schaffte es, daß ihr auch etwas in den Mund floß. Es schien zu helfen. Plötzlich begann sie gierig an der Flasche zu saugen wie ein Kleinkind an der Mutterbrust. »Langsam«, murmelte Joshua York.
    Abner Marsh schob die Lotleine hin und her und schaute sich stirnrunzelnd um. »Ist das die einzige Flasche?« wollte er wissen. Joshua York nickte. Sein eigenes Gesicht sah nun verbrüht aus wie das Gesicht eines zweiten Maats, den Marsh einmal gesehen hatte, der zu nahe bei einer Dampfleitung gestanden hatte, als sie platzte. Blasen und Risse zeichneten sich ab. »Julian hatte meinen Vorrat in seine Kabine bringen lassen und verteilte ihn flaschenweise. Ich habe nicht gewagt, dagegen zu protestieren. Oft genug äußerte er die Absicht, alles zu vernichten.« Er zog Valerie die Flasche weg. Sie war jetzt noch viertel- bis halbvoll. »Ich dachte . . . es wäre genug, bis ich für

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