Fiese Finsterlinge
eines kleinen Lasters angewachsen – ein gigantischer, außer Kontrolle geratener
Windstoß, der hin und her purzelte und in dem beengten Raum des Autodecks von den Wänden abprallte wie eine Flipperkugel. Er war eine rohe Naturgewalt. Aber eine Hilfe ist er nicht, dachte Lilli. Sie stellte sich vor, dass er für die Fährarbeiter wie eine durchsichtige Luftkräuselung aussehen musste, nichts weiter.
»Kommt hoch!«, rief der Arbeiter erneut.
»Tut mir leid, Kollege, wir haben hier noch was zu erledigen«, entgegnete Richie und stürzte Flappy hinterher.
Lilli konnte ihn nicht allein losziehen lassen – wahrscheinlich würden sie alle miteinander sterben, aber falls er stürbe, weil er tapfer war, und sie ihm in den Tod folgte, weil sie feige war, würde sie nicht mehr mit sich leben können… zumindest nicht in den wenigen Sekunden, die ihr dann noch blieben.
»Diesmal komme ich gleich mit!«, rief sie und rannte ihm nach.
»Flappy!«, brüllte Richie. »Hol dir den Wasserdämon! Mach ihn fertig!«
Lilli zuckte zusammen, als sie Richies wenig kunstvolle Anweisung hörte, aber ihr wurde klar, dass er die richtige Idee hatte, die einzige Idee. Es war ein verrückter Versuch, aber falls nicht etwas Verrücktes geschah, würden die massigen Wasserfinger vollends in die Fähre hineinkriechen und sie alle auf den Grund der Bucht hinabzerren. Die Medien würden nie erfahren, dass es ein Dämon gewesen war. »Fährunglück bei heftigem Unwetter – alle Passagiere tot«, würde es heißen.
Flappy tobte über das leere Autodeck wie ein verrückter Wirbelsturm, der alles, was nicht niet- und nagelfest war,
von den Wänden riss und durch die Gegend schleuderte. Richie duckte sich vor herumfliegenden Gegenständen und brüllte dem Winddämon zu, er solle seinem Kontrahenten »die Fresse polieren« und ihm »den Hintern aufreißen«. Aber seine unspezifischen Zurufe trugen wenig dazu bei, Flappys überbordende Energie zielorientiert einzusetzen. Richie war jung und wild, dachte Lilli. Impulsiv. Ganz so wie das Chaos, dem er Einhalt gebieten wollte.
»Flappy, sammle dich!«, rief sie dem Winddämonen laut, aber gelassen zu.
Anscheinend verstand Flappy sie, denn plötzlich zog er sich zu einem festen Luftwirbel zusammen.
»Zum Wasserdämon!«, befahl sie, doch Flappy tobte weiter orientierungslos herum. Entschlossen verdrängte Lilli ihre Panik und ihr eigenes inneres Chaos in einen dunklen Bereich ihrer Seele, sperrte beides dort ein. Dann konzentrierte sie sich und erweckte die ihr innewohnenden Kräfte zum Leben, schwenkte ihren Arm in weitem Bogen durch die Luft, entzog Türen, Wänden und Säulen alle Farben und schleuderte sie quer übers Autodeck, um einen riesigen Regenbogenpfeil zu erschaffen, der auf die gigantischen Wasserhände des Plansch zeigte.
Flappy machte kehrt und flog in die angewiesene Richtung, raste als kugelrunder Wirbelwind direkt auf den Plansch zu.
Zehn Meter vom Kampfplatz entfernt kam Richie schlitternd zum Stehen und packte eine Metallstange, um nicht in die kochenden Fluten hinabzurutschen.
»Los!«, rief er.
Flappy krachte frontal gegen den Plansch und verursachte
eine gewaltige Wasser- und Windexplosion auf dem Autodeck. Mit Flügeln, die rotierten wie tausend messerscharfe Klingen, bohrte Flappy sich in den Wasserdämon hinein und zerschredderte ihn in seine Einzelteile. Die Hände lösten sich vor Lillis Augen auf, und die dunklen Wassermassen fluteten wieder das Deck hinunter und flossen in die brodelnde Bucht ab.
Sobald das Gewicht des Wassers verschwunden war, krachte die Fähre mit einem gewaltigen Platschen in die Horizontale zurück und schleuderte Lilli und Richie zu Boden.
Als der feuchte Dunst aufklarte, lag das Fährschiff wieder ruhig auf dem Wasser und schaukelte sanft hin und her. Der verbliebene Luftstrudel, bei dem es sich um Flappy handelte, wehte zur Knobelbox zurück, die Lilli fest in der Hand hielt, und schlüpfte hinein.
»Er hat den Wasserdämon verjagt«, sagte Lilli erstaunt. Sie fragte sich, ob Flappy es aus eigenem Antrieb getan hatte oder wegen ihres Befehls oder ob es beides gewesen war.
»Ja, er hat ihn plattgemacht! Unglaublich, der kleine Kerl!« Richie konnte nicht an sich halten und führte auf dem leeren Autodeck einen Freudentanz auf.
Flappy hatte seinen Widersacher tatsächlich mit ungeahnter Vehemenz angegriffen. Lilli fragte sich, warum. Sie hätte nicht gedacht, dass Dämonen derart wütend werden können, aber neben ihrem Befehl hatte
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