Fieses Karma
zurück. Und schlug innerhalb von nur einer einzigen Minute schon die zweite Tür zu.
Ich hoffte ernsthaft, mich im sicheren Versteck meines eigenen Zimmers für das ganze Wochenende verkriechen zu können und einigermaßen in Ruhe gelassen zu werden. Doch mir wird schmerzhaft bewusst, dass das reines Wunschdenken ist, als meine Mutter am Samstagmorgen um halb acht in mein Zimmer kommt und mich kidnappt.
Okay, es ist keine Entführung, bei der mir ein Sack über den Kopf gestülpt wird, mein Mund geknebelt und mir die Hände auf den Rücken gebunden werden. Aber ich finde, am Wochenende vor zehn Uhr geweckt und ins Auto gezerrt zu werden, ohne mir zu sagen, wo wir hinfahren, ist eindeutig eine Form von Kidnapping.
Als ich die Reisetasche auf dem Rücksitz sehe, kann ich mir zusammenreimen, dass es kein gewöhnlicher Tagesausflug wird.
»Ich verstehe nicht, warum du mir nicht sagen willst, wo wir hinfahren«, bettele ich sie zum fünften Mal an, während wir auf dem Freeway 101 in Richtung Norden fahren und alle Anzeichen von Zivilisation langsam in die Ferne rücken.
»Nun ja«, sagt meine Mutter kühl und nimmt einen Schluck Kräutertee aus ihrem Edelstahl-Reisekaffeebecher. »Da du es sowieso nicht ändern kannst, ist es doch eigentlich egal, wo wir hinfahren, oder?«
Ich stöhne und drücke meinen Hinterkopf gegen die Kopfstütze. Im Stillen verfluche ich die Götter dafür, dass sie mich mit so hyperaktiven Eltern gestraft haben. Warum können Mom und Dad nicht ganz normale kalifornische Eltern sein, die mit sich selbst beschäftigt sind? Die auf ihre Mitgliedschaft im CountryClub und Botox versessen sind? Einmal Schulschwänzen und ein paar Nächte der Trauer in meinem Zimmer – und sofort werde ich in irgend so ein Zeltlager für Teenies mit gebrochenem Herzen geschickt, wie ich stark vermute.
Ich meine, also wirklich! Einmal (äußerst berechtigt) die Schule zu schwänzen, macht mich noch nicht zum Problemfall. Als Nächstes werde ich mich auf einer Couch in einer Fernsehsendung wiederfinden, wo mich ein Seelenklempner bittet, zu erklären, warum ich mir so negative Lebensentscheidungen aussuche . Man kann wohl sagen, dass mein Umfeld ein kleines bisschen überreagiert.
Ganz abgesehen davon, wie unfair es ist. Wie soll ich jemals lernen, selbst mit Problemen im Leben umzugehen, wenn meine Eltern sich sofort einmischen, sobald meine Anwesenheit im Unterricht den kleinsten Makel aufweist? Wie soll ich eine verantwortungsbewusste und selbstständige Erwachsene werden, wenn ich mir noch nicht mal hin und wieder den geringsten harmlosen Ausrutscher erlauben darf?
Meine Mutter steuert derweil ungerührt den Wagen durch die Natur und wirft immer mal wieder einen Blick auf eine ausgedruckte Landkarte, die sie in einem Fach in der Fahrertür aufbewahrt.
Endlich, nach einer gefühlt stundenlangen Fahrt, biegen wir in die Auffahrt eines offensichtlich hochherrschaftlichen Gebäudekomplexes ein. Von meiner eingeschränkten Sicht aus dem Beifahrerfenster kann ich zunächst nur mehrere Gartenbereiche, einige Brunnen, einen Pavillon und etliche große weiße Gebäude erkennen, die alle der Villa gleichen, vor der wir jetzt parken.
Die Anlage sieht aus wie eines dieser eleganten, überteuerten Reha-Zentren für Promis, die immer wieder in den Klatschzeitschriften abgebildet sind. Erst als wir aus dem Wagen steigen und meine Mutter einem Bediensteten die Autoschlüssel reicht, seheich das Schild vor dem Eingang der Villa. Da weiß ich, dass mein Leben jetzt offiziell vorbei ist.
Es ist noch schlimmer, als ich dachte.
Schlimmer als ein Zeltlager für Teenager mit gebrochenem Herzen. Schlimmer als ein vornehmes Reha-Zentrum. Schlimmer, als im Fernsehen über meine Probleme zu reden.
»Spirituelles Zentrum von Napa Valley für inneres Wachstum?«, frage ich fassungslos.
Ich mache keine Witze. Genau das steht auf dem Schild. Glaubt mir, so was hätte nicht einmal ich mir ausdenken können.
Meine Mutter öffnet die hintere Wagentür, holt die schwarze Reisetasche vom Rücksitz und wirft mir dieses selig-wissende Lächeln zu, das ich immer dann zu sehen bekam, wenn sie mit mir in den Wasserpark oder ins Spielzeugland von McDonald’s ging, als ich noch klein war. Es ist der Blick, den man von seinen Eltern bekommt, weil sie sich freuen, dass sie so hip und »kindgerecht« sind und wissen, »was die Kids von heute wollen«.
»Liebes, es ist der perfekte Ort zum Ausspannen. Hier können wir Frieden mit unserer
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