Fieses Karma
wir unseren Weg auf dem Gang fort. Das heißt, bis wir hören, wie Jenna uns hinterherruft: »Ich hab was von dir, das du vielleicht gerne wiederhättest.«
Wir bleiben alle drei abrupt stehen. Ich traue mich nicht, mich umzudrehen. Ich bleibe wie erstarrt stehen und warte auf die Worte, vor denen ich mich seit gestern fürchte. In hundert Jahren hätte ich nie gedacht, dass sie aus Jenna LeRoux’ Mund kommen würden.
»Vermisst du zufällig ein rosa Notizbuch?«
Wirbelsturm Jenna
Um in diesem speziellen Fall den Schmetterlingseffekt zu erkennen, braucht man kein Wissenschaftler zu sein. Hätte ich an jenem Tag nicht den Bus genommen, wäre das Notizbuch des Karma-Klubs, das unsere dunkelsten Geheimnisse enthält, niemals Jenna in die Hände gefallen. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie eine kleine Schwester in der Grundstufe der Colonial Highschool, die auch noch zufällig mit dem Schulbus nach Hause fährt. Aber ich hätte den Bus nicht genommen, wenn mir nicht mein Auto weggenommen worden wäre. Und es wäre mir nicht weggenommen worden, wenn ich nicht geblitzt worden wäre. Ich hätte auch nicht beim Fahren telefoniert und wäre auch gar nicht gefahren, wenn ich nicht die E-Mail in Masons Postfach gefunden hätte, die ihn als Betrüger entlarvte. Und natürlich hätte ich mich überhaupt nicht in Masons Postfach eingeloggt, wenn …
Ja, wieder einmal der Karma-Klub.
Langsam wird es lächerlich. Wann hört das endlich auf? Was müssen wir denn noch alles ertragen? Es ist einfach nicht fair. Schließlich fing alles damit an, dass wir wie Dreck behandelt worden sind. Dafür sollten wir jetzt nicht auch noch bestraft werden. Wo bleibt die Gerechtigkeit des Schicksals?
Jade geht einen Schritt auf Jenna zu und sagt: »Hör mit dem dummen Spielchen auf, Jenna. Rück einfach das Notizbuch raus.« Ich bin ein wenig erleichtert, dass Jade das Wort ergreift, da mich das Ganze überfordert.
Doch Jenna steht nur da und verlagert das Gewicht auf den linken Fuß, während sie ihre Tasche ein Stück höher auf die Schulter hievt. »Hmm. Lass mich kurz überlegen. Nein.«
In meiner Kehle bildet sich ein Kloß. Mir wird klar, dass dies einer dieser Momente ist, in denen man dem Tod ins Auge blickt und er einem sagt, dass man absolut nichts mehr tun kann. Nur, dass es sich in dieser Situation nicht um meinen Tod handelt. Es ist der Tod meines bisherigen Lebens.
Jade wirkt weitaus ruhiger. Sie verdreht die Augen und sagt zu Jenna: »Warum erwähnst du das Notizbuch dann überhaupt, wenn du sowieso nicht vorhast, es uns zurückzugeben?«
Jenna tut so, als würde sie kurz über die Antwort nachdenken, doch sogar ich kann erkennen, dass sie keinen Gedanken daran verschwendet. Es ist einer dieser Momente, in denen sie weiß, dass sie Macht über andere hat, und jeden Tropfen aus der Situation herauspressen will. »Na ja«, sagt sie, »ich dachte mir, wir vier sollten uns zuerst unterhalten.«
»Worüber?« Jetzt geht Angie auf sie zu. Ich stolpere einen halben Meter hinter den anderen her und wirke wie die totale Außenseiterin. Und genauso fühle ich mich auch.
»Darüber, was drinsteht«, sagt Jenna, als wäre das sonnenklar.
»Was soll damit sein?«, gibt Jade bissig zurück und ich frage mich, ob sie Begegnungen wie diese regelmäßig vor dem Spiegel übt, weil sie ihre Sache so beeindruckend macht.
Jenna wickelt sich eine Haarsträhne um den Finger. »Ich weiß nicht. Ich dachte bloß, dass es Leute wie Mason oder Heather oder auch Seth vielleicht interessieren könnte, was da drinsteht.«
Ich mache die Augen fest zu und wünsche mir mit aller Macht, dass sich die ganze Situation in Luft auflöst. Ich bete, dass, wenn ich die Augen wieder aufmache, der Flur leer ist und alles wieder so ist wie sonst. Das funktioniert natürlich nicht. Jenna steht immer noch da und spielt neckisch mit ihrer Haarsträhne wie die Heather-Campbell-Kopie, die sie schon immer sein wollte. Undmir ist klar, dass hier und jetzt das ganze Kartenhaus einstürzen wird.
Ich muss irgendwas tun. Ich muss irgendwas sagen. Ich kann nicht nur herumstehen und nichts tun, während ich zusehe, wie Jenna mein Leben zerstört. Schließlich trete ich einen Schritt vor und frage: »Jenna, warum sagst du uns nicht einfach, was du von uns willst?«
Sie öffnet den Mund und lächelt hinterhältig, während sie mich von Kopf bis Fuß mustert. »Ihr seid anscheinend ziemlich clever – mit euren kreativen … Einfällen «, fängt sie an.
Ich beobachte sie
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