Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)
mir nicht vorstellen, den Eröffnungsabend vorzubereiten,
wenn die Beerdigung meiner Schwester gerade am Morgen zuvor stattfinden
sollte.”
Er
ließ einen Moment der Stille verstreichen. Leana konnte beinahe hören, wie sein
Verstand arbeitete, konnte fast das präzise Ineinandergreifen der Zahnräder
fühlen, als er nach Wegen suchte, sie zu Fall zu bringen.
„Ich
möchte, dass Sie wissen, wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihre Aufgaben zu
erfüllen, wenn Ihnen die Dinge über den Kopf wachsen, bin ich mehr als fähig
und willig, diese Rede für Sie zu halten.” Er hielt ihr die Hände entgegen.
„Ich konnte nicht sicher sein, dass Sie kommen würden; deshalb habe ich geübt,
als Sie hereinkamen.”
Leana
hatte die Ansprache zu Ende gelesen. Sie war keineswegs erstaunt, sie eloquent
und gut geschrieben zu finden. Sie behielt die Karteikarten. „Das habe ich
gemerkt,” sagte sie. „Aber es wird nicht nötig sein.”
„Die
Presse wird anwesend sein,” sagte er. „Die Reporter werden erwarten, dass Sie
ihr Bestes geben.”
„Und
das werde ich tun,” sagte Leana. „Machen Sie sich darum nur keine Sorgen.”
Einen
kurzen Moment lang löste sich das Mitgefühl in seinen Augen in etwas Dunkleres
auf – und dann kehrte ihr neutraler Ausdruck vorsichtig zurück.
„Verzeihen Sie mir die Bemerkung, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie
Ihr Bestes geben können. Sie haben einen solch fürchterlichen Schock erlebt.
Das gesamte Personal sowie Louis Ryan sorgen sich um Sie. Ich glaube nicht,
dass es klug von Ihnen wäre, unseren Gästen und der Presse gegenüberzutreten,
wenn ich diese Sache ebenso gut erledigen kann.”
Leana
hob den Kopf. Sie sah in ihm einen Mann, der seine eigene Mutter zerstückeln
würde, wenn er sicher wäre, dass ihm das diese Stellung einbrächte. „Mr.
Anderson, ich werde offen mit Ihnen sein. Louis Ryan hat mich angestellt,
dieses Hotel zu führen – nicht Sie. Stattdessen hat man Sie damit beauftragt, mir zu assistieren.
Wenn Sie auch weiterhin meine Autorität in Frage stellen, wenn Sie damit
fortfahren, mich belehren zu wollen, dann können Sie sich nach einer anderen
Arbeit umsehen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?”
„Ich
habe lediglich versucht –“
„Halten
Sie den Mund. Halten Sie bitte einfach den Mund.”
Leana
sah auf die Uhr und hätte gerne gewusst, ob Mario in der Zwischenzeit ins
Restaurant zurückgekommen war. „In mein Büro,” sagte sie. „Ich nehme an, ich
habe in diesem Gebäude irgendwo eins. Führen Sie mich dorthin.”
* * *
Ihr
Büro war riesengroß.
Es
befand sich im vierzigsten Stock des Hotels und blickte Richtung Downtown, auf
das Redman International-Gebäude.
Während
Leana hineinging, bemerkte sie mit Interesse die beleuchteten Sisley-Gemälde an
den waldgrünen Wänden, die cremefarbenen Damastsofas und eleganten, roten
Samtsessel – sie alle waren in einer Weise angeordnet, die die Umsicht
eines Innenarchitekten verrieten –, bevor sie über den ausgeblichenen
Perserteppich auf ihren Schreibtisch zuschritt.
Anderson
blieb im Eingang stehen. „Entspricht das Ihren Erwartungen?”
Leana
spürte in dem gedrängten Klang seiner Stimme, dass seine Vorstellungen, sein
Geschmack und all seine Mühe in den Entwurf dieses Büros geflossen sind. Sie
stellte sich ihn in der Mitte dieses Raumes als Künstler vor, der seine
Kreativität als Palette benutzt und ohne Unterbrechung mit einem Team von
Experten so lange arbeitet, bis seine Visionen in Erfüllung gegangen sind.
Sie
wusste, wusste ganz genau, dass er hoffte, dieses Büro würde eines Tages sein
eigenes werden, und sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, ein klein wenig
verärgert deswegen zu sein. „Es ist ziemlich überladen,” sagte sie. „Ich meine
– schauen Sie es sich nur an: Es ist ein bisschen zu viel von allem. Es
zeigt keine Harmonie; es fehlt an Vorstellungskraft. Es vermittelt den
Eindruck, wer auch immer das eingerichtet hat, war bemüht, Eindruck zu
schinden, anstatt etwas wirklich Substantielles zu schaffen. Das ist kein
Arbeitsbereich; es ist ein Museum. Finden Sie nicht auch?”
„Keineswegs.”
„Das
ist nur allzu verständlich,” sagte Leana. „Ich bin mit einem solchen Scheiß
aufgewachsen. Mein Vater ist Milliardär, und meine Mutter gibt gern Geld aus.
Viel Geld. Es ist ganz offensichtlich, dass Sie aus einer etwas prosaischeren
Umgebung stammen als ich, und deshalb verstehe ich, dass von all diesen
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