Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)
geführt, der ruhig, kühl und spärlich
eingerichtet war. Die Wände waren stahlgrau. Die lange Reihe von Fenstern
hinter ihr gab den Blick auf Manhattan frei.
Da
sie wusste, dass der Eindruck, den sie machen würde, entscheidend war, hatte
sie ein maßgeschneidertes, schwarzes Dior-Kostüm gewählt. Ihr Make-up war
gerade ausreichend, um die kaum noch wahrnehmbaren blauen Flecke abzudecken;
sie hatte ihr Haar aus dem Gesicht gestrichen und trug kein Parfüm.
Sie
fühlte sich wie eine Betrügerin.
Von
ihrem Stuhl im hinteren Teil des Empfangsbereichs konnte Leana die emsige Geschäftigkeit in dem riesigen Zimmer
gegenüber beobachten. Ein Mann saß an einem Schreibtisch, auf dem sich Stapel
von Papieren türmten, und tippte wie wahnsinnig in einen Computer, während eine
Frau ihm ungeduldig Instruktionen gab. Hinter ihnen durchstöberten zwei
Sekretärinnen Aktenschränke auf der Suche nach etwas, das offensichtlich
unauffindbar war. Und an einem weiteren Schreibtisch hörte jemand gerade lange
genug auf, ins Telefon zu brüllen, um von einer Gruppe von Leuten, denen das völlig
egal war, ,Ruhe!’ zu fordern.
Leana
fand, dass sie diese Menschen beneidete.
Um
fünf Minuten vor vier ging sie zum Waschraum auf der anderen Seite des Flurs.
Zu diesem Zeitpunkt war sie voller nervöser Spannung, fühlte sich unsicher und
hatte Furcht vor einem möglichen Versagen. Jede der drei Toiletten war besetzt.
Als sie zu dem marmornen Waschbecken trat, um sich die Hände zu waschen,
erhaschte sie einen Blick von sich im Spiegel. Sie war ohne jede Frage eine
junge Frau, deren Äußeres einen selbstsicheren Eindruck von Professionalität
abgab, deren Augen jedoch eine Spur des Eingeschüchtertseins und der Angst
verrieten.
Obwohl
Leana es nur äußerst ungern zugab, wäre sie jetzt viel lieber bei Redman
International und arbeitete für ihren Vater.
Sie
verließ den Waschraum und kehrte zu ihrem Platz im Empfangsbereich zurück.
Genau um sechzehn Uhr kam die Sekretärin. „Wir möchten bitten, Miss Redman.”
Leana
stand auf. Die Absätze ihrer Schuhe klackten auf den Marmorfliesen, während sie
der Frau den langen Korridor hinunter folgte. Das hat keinen Sinn. Er wird mich sofort durchschauen.
Aber
dann erinnerte sich sich an all die Jahre, durch die hindurch sie ihrem Vater
hatte beweisen wollen, dass auch sie erfolgreich sein könne, und näherte sich
dem Büro mit Bestimmtheit. Einmal, als sie noch ein Kind war, hatte sie
mitbekommen, wie George zu Celina gesagt hatte, dass die Welt – sofern
sie sehr schwer arbeitete – ihr gehören könnte. Warum kann das nicht auch auf mich zutreffen?
Sie
betrat das Büro. Leana stand hinter der Sekretärin und schaute sich in dem
Zimmer um. Ein Gemälde von einem jungen Paar hing über einer voll bestückten
Bar; das sorgfältig ausgearbeitete Modell eines Wolkenkratzers der Zukunft
stand neben einer Ming Vase; durch die Fensterwand zu ihrer Rechten konnte sie
Manhattan in der schimmernden Nachmittagssonne sehen.
Leanas
Blick verharrte kurz auf der Aussicht, bevor sie sich zu dem Mann wandte, der
auf der anderen Seite des Zimmers – mit dem Rücken zu ihr – an
einem riesigen Mahagonitisch saß. Die Sekretärin sagte: „Leana Redman, Sir.”
Louis
Ryan drehte sich in seinem Stuhl und blickte George Redmans Tochter an.
Als
sie einander in die Augen schauten, sahen beide die eigene Zukunft im Blick des
anderen.
Er
erhob sich und lächelte. „Ich freue mich, das Sie kommen konnten, Leana,” sagte
er. „Vergangene Nacht hat Harold Baines sogar eine Verabredung zum Abendessen
mit Ihrer Schwester nicht eingehalten, um mit mir über Sie sprechen zu können.”
Er deutete auf den Sessel ihm gegenüber. „Setzen Sie sich doch, bitte.”
Leana
setzte sich, und die Unterredung begann.
* * *
„Zeitverschwendung
ist mir zuwider,” sagte Louis. „Ich werde demnach gleich zur Sache kommen. Das
ist Ihnen doch recht, oder?”
„Das
ziehe ich auch vor,” sagte Leana. „Deshalb bin ich hier.”
Sie
beobachtete ihn, wie er zu einem Fenster ging, das den Blick nach Norden frei
gab. Er deutete auf ein hohes Gebäude, das von einem Gerüst wie von einem Kokon
umgeben war. „Wissen Sie etwas über das neue Hotel, das ich an der Ecke der
Fünften und Dreiundfünfzigsten
Straße baue? Es ist das da drüben.”
Leana
nickte. „Wenn es einmal fertig ist, soll es das größte in der Stadt sein.”
„Das
ist richtig,” sagte Louis. „Und ich wette, dass Ihr
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