Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
aussehende Gegend wie Fowey gesehen zu haben. Vielleicht meinte er auch kornisch aussehend, er war sich nicht sicher, wo da der Unterschied lag. Er musste Poppy fragen. Jedenfalls befanden sie sich in einer kleinen Stadt an einem Fluss, der ebenfalls Fowey hieß, und das Ganze sah aus wie von Beatrix Potter gezeichnet. Nach dem stickigen Sommermief Venedigs fühlte sich die Luft kühl und frisch an. Die Straßen waren schmal, gewunden und halsbrecherisch steil. Die Blumen in den Kästen vor den Fenstern wuchsen so üppig, dass sie etwas Schatten spendeten.
In dem kleinen Fremdenverkehrsbüro in der Innenstadt erfuhren sie, dass die verschiedenen Foweys »Foy« ausgesprochen wurden und dass die Stadt nicht nur wegen Christopher Plover berühmt war, sondern auch zahlreiche weitere Romanschauplätze in der Nähe lagen. Manderley aus
Rebecca
zum Beispiel, oder Toad Hall aus
The Wind in the Willows.
Plovers Haus lag ein paar Meilen außerhalb. Die riesige Villa war inzwischen Eigentum der Denkmalbehörde National Trust und an manchen Tagen für Touristen zugänglich. Das Chatwin-Haus war in privater Hand und nicht als Sehenswürdigkeit verzeichnet, konnte aber nicht weit weg sein. Nach der Legende sowie sämtlichen Biographien grenzte es unmittelbar an Plovers Grundstück.
Sie saßen auf einer Bank im dünnen englischen Sonnenlicht, das geklärter Butter glich, und Poppy machte sich auf den Weg, um ein Auto zu leihen – sie war die Einzige von ihnen mit einem ganzen Satz gültiger Ausweise und Kreditkarten. (Als Julia erwähnte, dass sie genauso gut ein Auto hätte stehlen können, sah Poppy sie mit wortlosem Entsetzen an.) Sie kehrte mit einem schnittigen silbernen Jaguar zurück – wer hätte gedacht, dass man so was in Wichtelhausen überhaupt ergattern konnte. Sie genehmigten sich ein Mittagessen im Pub und machten sich auf den Weg.
Es war Quentins erster Besuch in England, und er war restlos begeistert. Nachdem sie die tiefer gelegene Küste und die Stadt hinter sich gelassen hatten, gelangten sie in eine Landschaft hügeliger, unregelmäßiger Weiden, die von Schafen gesprenkelt und von dichten, dunklen Hecken zusammengehalten wurden. Diese Gegend glich Fillory so sehr, wie in seinen Augen keine andere irgendwo sonst auf der Welt, nicht einmal Venedig. Warum hatte ihm das nie jemand gesagt? Das hatte man natürlich, aber er hatte es nicht geglaubt. Poppy grinste ihm vom Fahrersitz aus im Rückspiegel zu, als wolle sie sagen: Siehst du?
Vielleicht hatte sie recht, und er hatte diese Welt nie genug zu schätzen gewusst. Als sie die schmalen Landstraßen und schattigen Alleen Cornwalls entlangfuhren, hätten die vier ganz normale Leute sein können, und wären sie dann vielleicht weniger glücklich gewesen? Sogar ohne Magie hätten sie die grünen Wiesen, diese herrliche ländliche Ruhe, die zwischen den Zweigen hindurchblitzende Sonne und die Bequemlichkeit des Luxusschlittens genossen, den sie auf Kosten eines anderen fuhren. Wie blöd hätte man sein müssen, um damit nicht zufrieden zu sein? Zum ersten Mal in seinem Leben hielt Quentin es für möglich, auch ohne Fillory glücklich sein zu können – nicht nur resigniert, sondern tatsächlich glücklich.
Tatsächlich waren sie Fillory so nahe, wie man es auf der Erde nur sein konnte. Sie näherten sich dem Haus der Chatwins. Sogar die Ortsnamen klangen wie in Fillory: Tywardreath, Castle Dore, Lostwithiel. Es war, als läge die grüne Landschaft Fillorys hinter der realen verborgen, als sei dies nur eine dünne Schicht, durch die die andere Welt hindurchschimmerte.
Cornwall tat Julia sichtlich gut. Sie wirkte fast lebhaft. Da sie die Einzige war, der beim Lesen im Auto nicht schlecht wurde, blätterte sie unterwegs die Fillory-Bücher durch, markierte einige Stellen mit Stickern und las andere laut vor. Sie stellte eine Liste aller Wege zusammen, auf denen die Chatwin-Kinder nach Fillory gelangt waren: ein praktischer Reiseführer für das Verlassen dieser Welt.
»In
Die Welt in den Wänden
schlüpft Martin Chatwin durch die Standuhr, ebenso Fiona. Im zweiten Band gelangt Rupert von seiner Schule aus hinüber, was uns natürlich nicht weiterhilft, und Helen folgt ihm auf demselben Weg, aber ich finde die Stelle nicht. In
Der fliegende Wald
finden sie den Durchgang, indem sie auf einen Baum klettern. Das könnte unsere Chance sein.«
»Wir müssten nicht ins Haus einbrechen«, pflichtete Quentin ihr bei. »Und wir könnten es alle
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