Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
Sterne verdient hatte. Schritt für Schritt, Level für Level, Münzen, Nägel, Feuer, Magnete, die ganze Palette, von Level eins bis Level siebenundsiebzig, wo Julia derzeit stand. Es dauerte vier Stunden, während deren die Sonne unterging und die Teilzeitmagier und Tagesschüler nach Hause gingen.
Natürlich war es das, wofür Julia lebte. Sie verhunzte nur ein paar Formeln in den Fünfzigern, aber die Statuten erlaubten ihr mehrere neue Versuche, und sie bestand die Prüfung, zitternd, aber aufrecht. Die Eliteschülerin nickte daraufhin herablassend, rollte die Ärmel herunter, zog ihr Jackett an und verließ das Haus.
Julia musste ihren ganzen Stolz zusammenraffen, um ihr nicht hinterherzulaufen und zu rufen: »Nimm mich mit, geheimnisvolle Fremde!« Sie ahnte, wer sie war: eine der anderen, eine von denen, die einen Draht zur wahren Magie besaßen, der reinen Lehre. Die Eliteschülerin war an der Quelle gewesen, aus der die Zauberformeln stammten. Julia hatte immer gewusst, dass diese Leute existierten, schon allein aufgrund der Störungen, die sie im Universum verursachten, wie ein schwarzer Planet. Und sie hatte recht gehabt. Endlich hatten sie sich ihr gezeigt! Sie hatten sie geprüft.
Doch genau wie in Brakebills hatten auch sie sie als ungenügend eingestuft. Sie musste irgendeinen Makel aufweisen, einen, den sie nicht erkennen konnte, den die anderen aber wahrnahmen.
Erst als sie nach Hause kam, fand sie die Karte in ihrer Jackentasche. Sie war weiß, doch eine komplexe Entschlüsselungsformel brachte eine Nachricht in Altkirchenslawisch zutage:
Karte verbrennen.
Julia verbrannte sie in einem Aschenbecher, wobei sie jedoch nicht den einfachen Zündzauber verwendete, sondern einen des dreiundvierzigsten Levels, der zwar im Prinzip genauso funktionierte, aber in der vierzehnten Position und Altkirchenslawisch.
Die Flamme zuckte rhythmisch violett und orangefarben – ein Morsecode. Er verriet mehrere GPS -Koordinaten, die zu einem winzigen Weiler in Südfrankreich gehörten. Das Dorf hieß Murs. Das alles klang verräterisch nach Free Trader Beowulf.
Endlich hatte Julia ihren Ruf erhalten. Der dicke Umschlag war eingetroffen. Diesmal würde sie sich wirklich auf den Weg machen. Sie hatte ihren Einsatz vor langer Zeit getätigt und endlich, endlich schien er Früchte zu tragen.
Doch wie sollte sie das alles ihren Eltern erklären, von denen man hätte meinen können, dass ihnen längst alles egal war? Julia war jetzt zweiundzwanzig; wie oft sollte sie ihnen noch das Herz brechen? Doch obwohl Julia die Aussprache gefürchtet hatte, lief sie besser als erwartet. Sie hatte viel vor ihren Eltern verborgen, konnte ihnen aber nicht verheimlichen, dass sie tatsächlich wieder einmal Hoffnungen hegte. Sie glaubte daran, ihr Glück finden zu können, und ergriff die Chance beim Schopf. Es kam ihr vor, als seien Jahre vergangen, seitdem sie sich so gefühlt hatte, und so war es tatsächlich. Ihre Eltern verstanden das irgendwie und regten sich nicht auf. Sie freuten sich für sie. Sie ließen sie ziehen.
Apropos ziehen lassen: Julia ließ den eulenhaften Jared, den verkrachten Linguisten, auf seinen blassen, knochigen Hintern fallen. Ruf mich an, wenn du endlich mit deiner Dissertation fertig bist, Strohhut.
An einem sonnigen Tag im April bestieg Julia ein Flugzeug, ganz ohne Gepäck, und flog nach Marseille, an der Küste des gleißend blauen Mittelmeers. Sie fühlte sich so leicht und frei, dass sie wahrscheinlich ganz von allein hätte hinfliegen können.
Sie mietete einen Peugeot, den sie nie zurückgeben würde, und fuhr eine Stunde lang gen Norden. Alle hundert Meter umrundete sie einen typisch französischen
rond-point
, bog bei Cavaillon rechts ab und verfuhr sich zigmal in der Nähe von Gordes, einem malerischen
village perché
, ein Dorf, dass sich halsbrecherisch an die Flanke des Luberontals klammerte, als hätte man es mit einer Maurerkelle dorthin platziert. Um drei Uhr nachmittags traf sie im verschlafenen, winzigen Murs ein, mitten im Herzen der malerischen Provence.
Wunderbarerweise war es ein richtiges Kleinod, eine von den Touristen weitgehend verschonte Ansammlung alter Häuser, erbaut aus seltsam leuchtenden, ausgebleichten, braunen südfranzösischen Steinen. Es gab eine Kirche, ein Schloss und ein Hotel. Die Straßen waren mittelalterlich eng, so dass man kaum mit dem Auto hindurchpasste. Julia parkte den Wagen auf dem Dorfplatz und betrachtete das anrührende Denkmal für die
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