Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
bisschen zu spät, um sich darüber zu streiten.«
»Ich verstehe das nicht. Ich dachte, Sie wären einer von den Guten?«
»Wir können nicht alle Helden sein. Gegen wen wollten die Helden sonst kämpfen? Es ist ein reines Rechenexempel. Die Summe zählt.«
»Aber ist das nicht der Schlüssel, den Ihnen Ihre Tochter gegeben hat?«, hakte Quentin nach, in dem furchtbaren Verdacht, irgendetwas gründlich missverstanden zu haben. »So erzählt es die Geschichte. Sie haben sie aus dem Gefängnis der Hexe befreit, und sie konnte sich zwar nicht an Sie erinnern, gab Ihnen aber den Schlüssel.«
»Sie war keine Hexe, sondern ihre Mutter.« Wieder das zischende Gelächter. Nur der Unterkiefer bewegte sich, wenn der Tote redete, wie eine sprechende Gestalt in einem Vergnügungspark. »Ich habe meine Familie verlassen, um nach den sieben goldenen Schlüsseln zu suchen. Ich wollte wohl ein Held sein. Sie haben mir nie verziehen. Als ich endlich zurückkehrte, erkannte mich meine eigene Tochter nicht mehr wieder. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, ich sei tot.
Sie erhielten mich am Leben. Im Grunde können Sie die Geschichte auffassen, wie Sie wollen. Es ist schrecklich, in einem toten Körper zu leben. Ich kann nichts spüren. Und Sie sollten mal sehen, wie mich die anderen anstarren.«
Quentin öffnete das Holzkästchen. Ein goldener Schlüssel lag darin. Quentin nahm an, dass er jetzt Teil des Märchens war. Er war durch eine Trennwand in eine angrenzende Geschichte gekracht. Auftritt des Zaubererkönigs.
»Bitte sagen Sie mir doch«, bat die Leiche, »wozu dient er eigentlich? Ich habe es nie erfahren.«
»Ich weiß es auch nicht. Es tut mir leid.«
Hinter ihm näherten sich Schritte. Quentin riskierte einen Blick über die Schulter. Es war nur Schramme, der ihn endlich eingeholt hatte.
»Es muss Ihnen nicht leidtun. Sie haben dafür bezahlt. Sie haben Ihren Preis bezahlt.« Das Leben wich aus der Mumie, sobald sie das Kästchen losgelassen hatte. Sie fiel nach vorn, und ihr Kopf krachte auf den Tisch. Seine letzten Worte murmelte sie direkt in die hölzerne Oberfläche. »Genau wie ich. Sie wissen es nur noch nicht.«
Dann blieb sie reglos liegen.
Quentin schloss den Deckel des Kästchens. Er hörte, wie Schramme neben ihn trat. Gemeinsam starrten sie den Schädel der Leiche an, der so kahl, gefleckt und geädert war wie ein Globus.
»Gut gemacht«, sagte Schramme.
»Ich glaube nicht, dass ich ihn umgebracht habe«, erwiderte Quentin. »Ich nehme an, er ist ganz von selbst gestorben.«
»Alles gut.« Das musste er von Josh übernommen haben.
Quentins aufgeputschte Kräfte ließen rapide nach und sanken auf ein normales Niveau. Er fühlte sich ausgelaugt und zittrig. Vage wurde ihm bewusst, dass ein ekliger Geruch nach verbrannten Haaren von ihm ausging. Der Feuerschutz war nicht perfekt gewesen.
»Er war der Mann aus dem Märchen«, erklärte Quentin. »Nur dass er mir eine andere Version der Geschichte erzählt hat. Woher wusstet ihr, dass ich eure Hilfe brauchte?«
»Der Koch hat einen sprechenden Fisch gefangen, der uns gesagt hat, was wir tun sollen. Im Bauch hatte er eine Flasche mit einer Landkarte. Was ist denn mit Euch passiert?«
»Ich bin Ember begegnet.«
Das musste vorerst als Erklärung genügen. Gemeinsam durchquerten sie den Saal in Richtung der Treppe. Schramme untersuchte jeden Eingang und jede Nische auf Übriggebliebene und Fanatiker.
Sie hatten es geschafft: Ein weiterer Schlüssel war gefunden. Jetzt fehlte nur noch einer. Quentin hatte seinen Anteil geleistet. Sie trafen eine fröhlich plaudernde Poppy, die ganz begeistert von ihrem ersten Fillory-Ausflug war – »Wir haben’s geschafft!« – und eine schweigende, noch immer phosphoreszierende Julia, die durch die Säle wanderte. Quentin zeigte ihnen den Preis und umarmte beide, Julia etwas ungeschickt, weil sie seine Umarmung nicht erwiderte und außerdem noch ihre Kampfgröße hatte. Poppy hatte recht: Sie hatten es geschafft, und Quentin hatte sie angeführt. Er klammerte sich an dieses Siegesgefühl, wog es in den Händen, fühlte seine Wärme und sein Gewicht und nahm sich vor, sich auf ewig daran zu erinnern. Schramme entdeckte einen Versprengten hinter einer Gardine, doch dieser hatte seine Waffen bereits niedergelegt. Für eine verlorene Sache wollte er wahrhaftig nicht sterben.
Draußen hatte die
Muntjak
im Burghafen geankert und ragte über den Steinplatz empor. Die Bucht musste tiefer sein als angenommen.
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