Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
Tisch und versuchte es noch einmal.
Sie brauchte zwei weitere Stunden, bis sie es zum ersten Mal richtig schaffte. Text, Aussprache und Rhythmus stimmten. Die Handpositionen waren noch immer ein Witz, aber sie war auf dem richtigen Weg. Das war absolut nicht verfickt. Als sie fertig war, hinterließen ihre Finger Spuren in der Luft. Es war wie eine Halluzination, die Art von optischem Effekt, wie er durch verpfuschte Laserchirurgie oder zwei durchgemachte Nächte entsteht. Mit einem Wink ihrer Hand malte Julia farbige Streifen in die Luft: Rot aus dem Daumen, Gelb, Grün, Blau und schließlich Violett aus dem kleinen Finger.
Sie roch elektrisch geladen. Wie Quentin.
Julia ging hinauf aufs Dach. Sie wollte nichts berühren, solange der Zauber wirkte – es war, als hätte sie Nagellack frisch aufgetragen –, aber sie musste irgendwohin, also kletterte sie die Metallleiter empor, stieß die Falltür auf und kam in einem Irrgarten von Teerpappe und Klimaanlagen heraus. Sie stand auf dem Dach und malte mit ihren Händen Regenbogenmuster in den rasch blauer werdenden Morgengrauenhimmel, bis der Zauber nachließ.
Das war Magie! Echte Magie! Sie zauberte! Hakuna
fucking
matata! Entweder war sie gar nicht verrückt, oder sie war endgültig und unwiderruflich übergeschnappt. Wie auch immer – sie hätte sterben können vor Glück.
Dann ging sie hinunter und schlief eine Stunde. Als sie erwachte, hatten ihre Finger bunte Flecken auf der Bettwäsche hinterlassen. Ihre Brust fühlte sich schmerzhaft ausgehöhlt an, als hätte jemand alle inneren Organe mit einem Buttermesser rausgeschabt wie die Kerne aus einem Halloweenkürbis. Erst dann dachte sie daran, den Absender der alten Mail zu recherchieren, doch als sie im Archiv nachsah, war sie bereits gelöscht worden.
Der Zauber aber klappte immer noch. Sie versuchte es noch einmal, und es funktionierte. Dann legte sie ihren Kopf auf den Tisch, vorsichtig, um ihr Gesicht nicht mit den Fingern zu berühren, und weinte herzzerreißend wie ein geprügeltes Kind.
Kapitel 11
Q uentin bat Professor Geiger, sie zurück nach Chesterton zu transportieren. Sie materialisierten problemlos in der Innenstadt. Geiger – eine Frau mittleren Alters, fröhlich und rund – hatte ihnen angeboten, sie direkt zu Quentins Elternhaus zu schicken, aber er wusste die Adresse nicht mehr.
Es war heller Nachmittag. Quentin hatte keine Ahnung, welches Datum sie hatten. Sie saßen auf einer Bank in einem historischen Park, wo während des Revolutionskriegs eine kleinere Schlacht stattgefunden hatte. Touristen schlenderten vorbei, trunken von der Sonne. Im Grunde war es unerhört für einen gesunden jungen Mann wie Quentin, um diese Tageszeit müßig im Freien herumzulungern. Er hätte im Büro sitzen, aufs College gehen oder wenigstens stoned Touch-Football spielen sollen. Quentin spürte, wie seine Energie im Tageslicht verflog. Mein Gott, dachte er mit einem Blick auf seine Beinkleider, ich muss endlich aus diesen Klamotten raus!
Andererseits war Chesterton einer der führenden Orte für Historienspiele an der Ostküste. Dadurch fielen sie nicht ganz so krass auf.
»Das hat ja gut geklappt«, bemerkte er. »Starbucks?«
Julia lachte nicht.
Sie waren jetzt schon etwas ruhiger. Schweigend saßen sie unter den alten Eichen: König und Königin von Fillory, arbeitslos. Die Luft war erfüllt von seltsamem, modernem Brummen und Dröhnen, was Quentin früher, vor seiner Zeit in Fillory, nie aufgefallen war: Autos, Starkstromleitungen, Sirenen, ferner Baulärm, Flugzeuge im Jetstream, die Doppelstreifen über den klaren blauen Himmel zogen. Pausenlos dieser Lärm!
Er erinnerte sich daran, wie er einmal Julia nicht weit von hier begegnet war, auf dem Friedhof hinter der Kirche. Damals hatte sie ihm erzählt, dass sie sich immer noch an Brakebills erinnern konnte.
»Du hast auch keine Ahnung, was wir tun sollen, oder?« Julia blickte starr vor sich hin.
»Nein.«
»Warum habe ich bloß geglaubt, du hättest eine?« Ihr hochmütiger Zorn war zurück. Sie kam allmählich wieder zu sich. »Du hast hier ja gar nicht richtig gelebt. Hier draußen, in der wirklichen Welt.«
»Ich war zu Besuch.«
»Du bildest dir ein, Magie sei das, was du in Brakebills gelernt hast. Aber du hast keine Ahnung!«
»Okay«, sagte er. »Nehmen wir an, ich habe keine Ahnung. Was verstehst du denn unter Magie?«
»Ich werd’s dir zeigen.«
Julia stand auf. Sie blickte sich um, als prüfe sie mit der Nase den
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