Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
was ein weiteres Geschenk war. Sie trauerte um ihr verlorenes Leben und beweinte den Tod der Magierin, die sie niemals sein würde. Sie begrub die mächtige Hexe mit vollen Ehren. Und mit der Trauer kam als ungebetener Gast ihre geisterhafte goldene Cousine, die Erleichterung. So sehr und so lange hatte sich Julia abgemüht, jemand zu werden, der sie offenbar nicht sein sollte. Jetzt konnte sie endlich damit aufhören. Sie war besiegt. Sie gab sich den Umarmungen ihrer Verwandten hin und war dankbar für sie. Und was war überhaupt an der Magie so großartig im Vergleich zur Liebe? Im Ernst, was denn?
Oh, die furchtsamen Annäherungsversuche ihrer Schwester, der Humanistin! Sie war jetzt selbst in der Abschlussklasse der Highschool. Während sie an ihren Collegebewerbungen bastelte, reaktivierte Julia ihre eigenen. Sie arbeiteten gemeinsam daran, Seite an Seite am Küchentisch, und gaben sich gegenseitig Tipps. Julias Schwester half ihr bei ihrem Essay, Julia schleifte ihre Schwester gewaltsam durch die Grundlagen der Arithmetik. Sie bildeten endlich ein Team, die beiden. Julia hatte vergessen, wie es war, Teil einer Familie zu sein. Sie hatte vergessen, wie man sich dabei fühlte und wie sehr sie es brauchte.
Von Julias legendären sieben Studienplätzen konnte nur der in Stanford gerettet werden, doch das reichte ja. Julias Lebenslauf hatte zwar Lücken, aber wenn man ein, zwei Augen zudrückte, konnten ihre Magieforschungen als irgendein wertvolles, unabhängiges ethnographisches Projekt durchgehen. Sie würde also ins sonnige Kalifornien ziehen. Genau das, was sie brauchte. Spaß in der Sonne. Ein bisschen Farbe im Gesicht. Sie würde ein Jahr lang gespart haben und sich im Herbst immatrikulieren. Alles war arrangiert.
Denn Julia hatte aufgegeben. Sie zog einen Schlussstrich. Sie wollte nichts mehr wissen von dem unsichtbaren Reich, das von ihr so gar nichts hatte wissen wollen. Sie würde sich ein Beispiel an der Charta der kinderschänderischen, utopischen Sozialisten nehmen, über die sie für Mr. Karras geschrieben hatte: Wenn deine heilige Gesinnungsgemeinschaft zerbricht, lass es sein und gründe eine Besteckfirma.
Auch an John Donne nahm sie sich ein Beispiel. Ging er nicht am Ende des Gedichts zu einem Steinbock (womit das Sternzeichen gemeint war, wie eine Fußnote sie galant informierte), um neue Liebe zu finden? Oder war es Lust? Vielleicht stellte sich auch heraus, dass es zu spät für ihn war. Unverständliches Scheißgedicht. Aber wenigstens hatte es ein Happy End. Würg.
Sie kannte noch immer ganz schlimme Tage, zweifellos, wenn der schwarze Hund der Depression sie aufspürte, sich mit seinem erdrückenden Gewicht auf ihre Brust legte und ihr seinen stinkenden Hundeatem ins Gesicht blies. An diesen Tagen rief sie in dem IT -Laden an, in dem sie regelmäßig arbeitete und für ein Butterbrot verhedderte Netzwerke entwirrte, um sich krankzumelden. An diesen Tagen zog sie die Jalousien herunter und kämpfte gegen die Dunkelheit an, zwölf, vierundzwanzig, zweiundsiebzig Stunden lang, so lange, bis der schwarze Hund wieder zu seinem finsteren Herrchen zurückkehrte.
Es gab keinen Weg zurück, das wusste sie inzwischen. Das magische Königreich blieb ihr verschlossen. Doch an manchen Tagen konnte sie auch nicht erkennen, wie es weitergehen sollte.
Am Ende rappelte sie sich jedes Mal wieder auf, mit Hilfe einer supertollen neuen Seelenklempnerin, ihrer supertollen 450 Milligramm Wellbutrin und 30 Milligramm Cipralex am Tag sowie ihrer supertollen neuen Selbsthilfegruppe für Depressive.
Die Selbsthilfegruppe war wirklich ziemlich klasse und etwas ganz Besonderes. Gegründet hatte sie eine Frau, die nacheinander bei Apple, Microsoft und Google gearbeitet hatte. Bei jeder Firma war sie für vier, fünf Jahre zum strahlenden Stern aufgestiegen und hatte jede Menge Aktien angehäuft, bevor sie irgendwann neurochemisch eine Niete zog rollte und von einem heftigen Depressionsschub aus der Bahn geworfen wurde. Als Google sie rausschmiss, war sie vierundvierzig und hatte mehr als genug Leckt-mich-am-Arsch-Kapital auf der Bank. Sie ging also in den frühzeitigen Ruhestand und gründete Free Trader Beowulf.
Free Trader Beowulf – um die Bedeutung dieses Namens zu erfassen, musste man mindestens vierzig sein und sich jahrelang für Fantasy-Rollenspiele begeistert haben, doch die Gruppe half tatsächlich. Google bestätigte das. Dabei war FTB zwar eine Selbsthilfegruppe für Depressive, aber
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