Fillory - Die Zauberer
Silberbesteck glänzte, in den Kristallkelchen funkelte Wein, tief golden und arteriell rot.
Sie hielten inne und starrten augenblinzelnd nach rechts und links. Es war, als seien sie in den Traum eines verhungernden Mannes gestolpert.
»Keiner isst!«, rief Dint. »Rührt das nicht an! Keiner isst, keiner trinkt!«
»Es gibt zu viele Eingänge«, stellte Anaïs fest. Ihre hübschen grünen Augen huschten in alle Richtungen. »Hier sind wir ein leichtes Ziel.«
Sie hatte recht. Weiter hinten im Saal öffnete sich eine Tür und herein kamen zwei große, langgliedrige Mitglieder der Affenfamilie, obwohl Quentin nicht genau hätte sagen können, wie diese Art hieß. Ihre glasigen Affenaugen blickten gelangweilt. In perfektem Gleichklang griffen sie in zwei Beutel, die sie um die Schultern geschlungen hatten, und holten zwei golfballgroße Bleikugeln hervor. Mit einer geübten Rotationsbewegung ihrer überentwickelten Schultern und überlangen Arme schleuderten sie die Kugeln pfeilschnell wie Profi-Baseballspieler in Richtung der Gruppe.
Quentin nahm Alice an der Hand und sie kauerten sich hinter einen schweren Gobelin, der eine der Kugeln abfing. Die andere köpfte einen Kerzenständer und pulverisierte anschließend spektakulär vier Weingläser hintereinander. Unter anderen Umständen, dachte Quentin, wäre das richtig cool gewesen. Eliot berührte seine Stirn, wo er von einem Splitter getroffen worden war. Als er seine Finger betrachtete, waren sie blutig.
»Würde bitte jemand diese Viecher abmurksen!«, sagte Janet angeekelt. Sie hockte unter dem Tisch.
»Im Ernst!«, beschwerte sich Josh mit zusammengebissenen Zähnen. »Das ist doch nicht mal mythologisch. Wir brauchen ein paar Einhörner in diesem Stück!«
»Janet!«, schrie Eliot. »Lass deinen Dämon raus!«
»Hab ich längst!«, schrie sie zurück. »Schon in der Nacht nach der Schulabschlussfeier! Er hat mir leid getan!«
Hinter dem rauen Stoff des Wandteppichs verborgen, beobachtete Quentin ein Paar Beine, die seelenruhig vorbeischlenderten. Während sich alle anderen duckten, marschierte Penny selbstbewusst auf die beiden Ballwerfer zu, die sich schon zum nächsten Wurf bereit machten, die starren Affengesichter ausdruckslos. Penny gestikulierte in Zeitraffer und sang in hohem, klarem Tenor eine Beschwörung. So ruhig und ernst, beschienen von Kerzenlicht, nur in Jeans und T-Shirt, ähnelte er längst nicht mehr dem aufgedunsenen Gernegroß von früher. Er sah aus wie ein hartgesottener junger Kampfmagier. Hatte er in Alice’ Augen so ausgesehen, fragte sich Quentin, in jener Nacht, als sie mit ihm geschlafen hatte?
Mit einer Hand fing Penny erst eine Bleikugel auf, dann eine zweite. Für einen Augenblick schwebten sie in der Luft wie überraschte Kolibris, dann erreichte sie die Schwerkraft und sie fielen zu Boden. Mit der anderen Hand feuerte Penny zur Antwort einen feurigen Samen ab, der wuchs und sich ausdehnte wie ein aufgehender Fallschirm. Die Wandteppiche auf beiden Seiten des Saales gingen in Flammen auf, wo der Feuerball sie berührte. Er verschlang die beiden Affen, und als er sich zerstreute, waren sie einfach verschwunden. Die Banketttafel brannte auf einer Länge von drei Metern wie ein Osterfeuer.
»Yeah!«, schrie Penny und vergaß für einen Moment seine Fillory-Diktion. »Bumm, ihr Ärsche!«
»Amateur«, murmelte Dint.
»Wenn mein Haaransatz ruiniert ist«, sagte Eliot schwach, »werde ich diese Viecher zum Leben erwecken und sie noch mal umlegen.«
Sie zogen sich rückwärts durch den Speisesaal zurück, wobei sie sich ungeschickt an den Stühlen mit den geraden, hohen Lehnen vorbeidrängten. Der Saal war einfach zu schmal – durch den Tisch in der Mitte war nicht genug Platz, um sich vernünftig zu formieren. Die Szenerie besaß einen grotesken, geisterhaften Charakter. Quentin nahm Anlauf, sprang auf den Banketttisch und schlidderte quer darüber. Dabei warf er Speisen und Geschirr herunter und fühlte sich wie ein Actionheld, der über die flammende Motorhaube seines Muscle Cars schleudert.
Eine seltsame Alice-im-Wunderland-Menagerie strömte in den Speisesaal hinein. So, wie die militärische Ordnung im Raum aufgeweicht wurde, so schienen auch die taxonomischen Grenzen durchlässig geworden zu sein. Arten und Körperteile waren scheinbar willkürlich durcheinandergewürfelt worden. War nach dem Verschwinden der Chatwins jede Ordnung zusammengebrochen, in dem Maße, dass Tiere und Menschen sich miteinander
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