Fillory - Die Zauberer
wollte.«
Quentin blickte sich zu den anderen um. Er sah Janet mit geschlossenen Augen an einer Steinwand sitzen, obwohl er nicht den Eindruck hatte, dass sie schlief. Die Pistole hielt sie im Schoß. Sie trug ein rotes T-Shirt mit einem weißen Stern und Khakihosen. Ihr musste kalt sein. Während er sie beobachtete, seufzte sie und leckte sich über die Lippen wie ein kleines Mädchen.
Er wollte nicht frieren. Alice sah ihn unverwandt an. Das Mosaik hinter ihr war zu einem Strudel von grünen Tentakeln, Wellen mit weißen Schaumkronen und treibenden Trümmern geworden. Quentin rutschte über die Steinbank auf sie zu, küsste sie und biss sie in die Unterlippe, bis sie nach Luft schnappte.
Irgendwann konnten sie sich nicht länger etwas vormachen: Sie hatten sich verlaufen. Die Gänge wanden sich infernalisch und verzweigten sich häufig. Sie irrten durch ein Labyrinth und fanden den Ausweg nicht. Dint beschäftigte sich wie besessen mit seiner Karte, die inzwischen ein halbes Dutzend Blätter Millimeterpapier umfasste. Jedes Mal, wenn sie um eine Ecke bogen, schichtete er sie um und bekritzelte sie frenetisch. In Brakebills hatten sie einen Spruch gelernt, durch den man leuchtende Fußspuren hinterließ, doch Dint meinte, das würde nur die Jäger auf ihre Fährte locken. In die Wände waren lange Reihen einfacher, im Profil dargestellter marschierender Figuren eingraviert, Tausende, von denen jede ein anderes Totem in der Hand hielt: einen Palmwedel, einen Schlüssel, ein Schwert, einen Granatapfel.
Hier unten war es dunkler. Sie fuhren fort, Lichter auf alles zu zaubern, was sich halbwegs dazu eignete, aber ihr Schein schien nicht weit zu reichen. Im Laufschritt durcheilten sie nun den Gang, doppelt so schnell wie zuvor, in einer Stimmung wie bei einem von Blitzschlag bedrohten Picknick. Der Gang verzweigte sich immer wieder. Ab und zu gerieten sie in eine Sackgasse und mussten zurückkehren. Quentins Füße schmerzten in den brandneuen Wanderschuhen. Bei jedem Schritt bohrte sich etwas Hartes in seinen linken Knöchel, immer an derselben Stelle.
Er riskierte einen Blick zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Dort sah er einen roten Schein – irgendetwas irgendwo im Labyrinth strahlte ein tief karmesinrotes Licht aus. Doch ihm war es zutiefst gleichgültig und er hatte nicht die geringste Lust, herauszufinden, was es war.
Zehn Minuten später hielten sie an einer Gabelung inne. Dint wollte unbedingt nach rechts, Josh nach links. Doch er hatte keine besonders stichhaltigen Argumente, nur, dass dieser Weg wesentlich vielversprechender aussähe und sich mehr »wie das anfühlte, was sie wollten«. Die Wände waren jetzt mit merkwürdig echt aussehenden Trompe-l’œil-Landschaften verziert, die mit winzigen, tanzenden Gestalten bevölkert waren. In der Ferne wurden Türen geöffnet und wieder zugeschlagen.
Der Gang hinter ihnen wurde heller. Jetzt sahen sie es alle. Es war, als gehe eine unterirdische Sonne auf. Die Disziplin ließ nach. Wieder verfielen sie in einen Laufschritt. Es war zu dunkel, als dass Quentin hätte erkennen können, ob jemand zurückblieb. Er konzentrierte sich auf Alice. Sie keuchte. Blass klaffte der Rücken ihrer Bluse auf, wo sich der Dämon seinen Weg ins Freie gesucht hatte. Quentin konnte ihren schwarzen BH-Verschluss sehen, der irgendwie die Operation überlebt hatte. Er wünschte, er hätte eine Jacke für sie gehabt.
Er holte Dint ein.
»Nicht so schnell!«, schnaufte Quentin. »Sonst verlieren wir noch jemanden!«
Dint schüttelte den Kopf. »Wir werden verfolgt. Wenn wir anhalten, fallen sie über uns her.«
»So ein Scheiß, Mann! Habt ihr denn gar keinen Plan?«
»Das hier ist der Plan, Erdling«, fauchte Dint zurück. »Wenn es dir nicht gefällt, geh nach Hause. Wir brauchen Könige und Königinnen in Fillory. Lohnt es sich nicht, dafür zu sterben?«
Nicht wirklich, dachte Quentin. Arschloch. Die nuttige Nymphe hatte recht gehabt. Das ist nicht euer Krieg.
Sie brachen durch eine Tür und wurden von einem Wandteppich abgebremst, der anscheinend den Eingang von der anderen Seite verdeckte. Als sie hindurch waren, erblickten sie einen von Kerzen erleuchteten Bankettsaal. Ein langer Tisch war mit Speisen gedeckt, frisch und dampfend heiß. Sie waren allein. Es schien, als seien die Kellner erst vor wenigen Augenblicken verschwunden. Die Tafel erstreckte sich nach beiden Seiten, ohne erkennbares Ende. Die Gobelins waren üppig und detailreich, das
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