Fillory - Die Zauberer
in einem adretten grauen Anzug erschien in der Höhle. Sein Gesicht wurde von einem dicht belaubten Zweig verdeckt, der unmittelbar davor schwebte. Er sah genauso aus wie in Quentins Erinnerung. Derselbe Anzug, dieselbe Clubkrawatte. Sein Gesicht war noch genauso undurchdringlich. Er hielt seine rosafarbenen, manikürten Hände höflich vor dem Bauch gefaltet. Es war, als hätte Quentin nie das Klassenzimmer verlassen, in dem er zum ersten Mal erschienen war. In gewisser Weise hatte er das auch nie. Der Terror war so absolut, so allumfassend, dass er fast einer Art Ruhe glich: Aus der Ahnung war nun hundertprozentige Gewissheit geworden, dass sie alle sterben würden.
Das Ungeheuer sprach.
»Ich glaube, das war mein Einsatz.« Sein Tonfall war milde, sein Akzent hochgestochen-britisch.
Ember brüllte laut auf, ein gewaltiges Röhren, das den Saal erschütterte, so dass einer der Stalaktiten hinunterfiel und zerbrach. Das Innere von Embers Maul war rosa-schwarz marmoriert. In diesem Moment sah der Widder keineswegs mehr lächerlich aus. Unter der flauschigen Wolle ballten sich gewaltige Muskeln wie Felsen unter Moos, und seine geriffelten Hörner erschienen mächtig und steinhart – sie bogen sich einmal ganz herum, so dass die beiden gefährlichen Spitzen nach vorn zeigten. Mit gesenktem Kopf stürzte er sich von seinem Steinsockel herunter auf den Mann im grauen Anzug.
Das Ungeheuer wehrte ihn mit einem geschmeidigen, gemächlichen Rückhandschlag ab. Die Geste wirkte fast lässig. Ember schoss seitlich weg wie eine Rakete und prallte mit einem Übelkeit erregenden, knochenlosen Aufklatschen gegen die Felswand. Die Physik dieses Vorgangs wirkte seltsam verzerrt, als sei der Widder leicht wie ein Blatt und das Ungeheuer dicht wie das Material eines roten Zwergensterns. Ember fiel reglos auf den sandigen Boden.
Dort blieb er liegen. Das Ungeheuer schnippte Wollfusseln von einem seiner makellosen grauen Ärmel.
»Es ist schon merkwürdig mit diesen alten Göttern«, sagte es. »Man glaubt, weil sie alt sind, seien sie schwer zu töten. Aber wenn es zum Kampf kommt, gehen sie zu Boden wie alle anderen auch. Sie sind nicht stärker, sie sind nur älter.«
Quentin hörte hinter sich schlurfende Füße im Sand. Er riskierte einen Blick. Dint hatte sich auf dem Absatz umgedreht und verließ den Raum. Das Ungeheuer unternahm nichts, um ihn aufzuhalten. Quentin vermutete, dass er und die anderen nicht so ungeschoren davonkommen würden.
»Ja, er gehört zu meinen Anhängern«, sagte das Ungeheuer. »Genau wie Farvel, wenn ihr die ganze Wahrheit wissen wollt. Die Birke, erinnert ihr euch? Die meisten sind inzwischen auf meiner Seite. Die Zeit der Widder ist vorbei. Fillory gehört jetzt mir.«
Es war keine Prahlerei, sondern lediglich eine Feststellung. Dint, du Scheißkerl, dachte Quentin. Und ich habe so getan, als würde mir deine blöde Weste gefallen.
»Ich wusste, dass ihr mich suchen würdet. Es überrascht mich nicht. Ich habe schon seit Jahrhunderten auf euch gewartet. Aber seid ihr wirklich nur so wenige? Das ist ja wohl ein schlechter Witz.« Er schnaubte ungläubig. »Ihr habt nicht die geringste Chance.«
Er seufzte.
»Ich nehme an, das hier brauche ich jetzt nicht mehr. Dabei hatte ich mich beinahe daran gewöhnt.«
Fast gedankenlos pflückte das Ungeheuer den Zweig, der vor seinem Gesicht hing, mit Daumen und Zeigefinger weg, als nehme er eine Sonnenbrille ab, und warf ihn lässig beiseite.
Quentin zuckte zusammen – er wollte sein wahres Antlitz nicht sehen –, doch es war zu spät. Und es stellte sich heraus, dass er sich gar nicht zu fürchten brauchte, denn zum Vorschein kam ein durch und durch normales Gesicht. Es hätte einem Versicherungsvertreter gehören können: rund, harmlos, weichlich, jungenhaft.
»Und? Erkennt ihr mich nicht?«
Das Ungeheuer marschierte auf den Steinsockel zu, nahm die Krone, die dort noch immer lag, und setzte sie sich auf die ergrauenden Schläfen.
»Mein Gott!«, stieß Quentin hervor. »Sie sind Martin Chatwin!«
»Höchstpersönlich!«, verkündete das Ungeheuer freudig. »Und du liebe Zeit, wie ich gewachsen bin!«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Alice zittrig. »Wie können Sie Martin Chatwin sein?«
»Aber das müsst ihr doch gewusst haben? Deswegen seid ihr doch hier, oder?« Er blickte in ihre Gesichter, las aber nur Verständnislosigkeit. Sie standen da wie angewurzelt – diesmal nicht magisch gefesselt, sondern einfach nur wie gelähmt vor
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