Fillory - Die Zauberer
Das muss Pennys richtiger Name sein. Er hörte ihn nun zum ersten Mal.
»Außerdem kann ich euch nicht frei herumlaufen lassen und darauf warten, dass ihr mich überwältigt. Verrat nennt sich das. Habt ihr alle gesehen, was ich mit eurem Meisterzauberer angestellt habe? Habt ihr’s kapiert?«
»Du armseliger kleiner Scheißer«, sagte Quentin tonlos. »Es hat sich nicht mal gelohnt, oder? Das ist das Lustige daran. Du bist aus demselben Grund hierhergekommen wie wir. Und, bist du jetzt vielleicht glücklich? Du hast es längst herausgefunden, stimmt’s? Man kann sich selbst nicht entkommen. Nicht einmal in Fillory.«
Martin stieß einen verächtlichen Laut aus und sprang Quentin an. Er überwand die zehn Meter zwischen ihnen mit einem einzigen Satz. Quentin drehte sich im letzten Moment um und wollte weglaufen, aber da saß ihm das Ungeheuer bereits im Rücken. Es schlug die Zähne in Quentins Schulter und umklammerte mit beiden Armen seine Brust. Die Kiefer des Ungeheuers umschlossen sein Schlüsselbein gleich einer riesigen Beißzange. Der Knochen bog sich durch und zerbrach mit Übelkeit erregendem Knacken.
Dann packten die Kiefer wieder zu, auf der Suche nach besserem Halt. Quentin hörte, wie er unwillkürlich aufstöhnte, als die Luft aus seiner Lunge gepresst wurde. Er hatte große Angst vor den Schmerzen, aber als sie schließlich eintraten, waren sie fast weniger schlimm als der Druck, dieser unglaubliche, unerträgliche Druck. Er bekam keine Luft. Für einen Augenblick bildete sich Quentin ein, sich vielleicht mit Magie wehren zu können, in der Hoffnung, etwas so Großartiges und Seltsames zu bewirken wie an seinem ersten Tag in Brakebills, bei seiner Aufnahmeprüfung. Doch er brachte keinen einzigen Laut hervor. Er langte rückwärts, um Martin den Daumen in die Augen zu bohren oder ihn an den Ohren zu packen, doch er erwischte lediglich Martins dünne, graue, englische Haare und riss daran.
Martins rasselnder Atem keuchte Quentin ins Ohr wie das Stöhnen einer Geliebten. Das Ungeheuer mochte noch aussehen wie ein Mensch, aber in diesem Zustand war es nur noch ein Tier, schnüffelnd, knurrend und nach fremdartigem Moschus stinkend. Quentin liefen die Tränen aus den Augen. Alles war zu Ende, das war das große Finale. Bei lebendigem Leib von einem Chatwin gefressen zu werden, wegen eines Knopfs. Es war fast zum Lachen. Er hatte immer angenommen, dass er überleben würde, aber das dachten natürlich alle. Er hatte geglaubt, alles würde so anders sein. Es musste einen besseren Weg gegeben haben. Worin hatte sein erster Fehler bestanden? Er hatte so viele begangen.
Doch dann war der Druck auf einmal weg und ihm klingelten die Ohren. Alice hielt mit blassen Fingern Janets blauschwarzen Revolver umklammert. Ihr Gesicht war aschfahl, aber ihre Hände waren ruhig. Sie feuerte zwei weitere Schüsse ab, eine Breitseite zwischen Martins Rippen. Er drehte sich zu ihr um und sie schoss ihm mitten in die Brust. Winzige Fetzen seines Anzugs und der Krawatte wirbelten und schwebten durch die Luft.
Quentin robbte verzweifelt vorwärts, ein primitiver Fisch, der sich auf eine Sandbank schiebt, nach Luft schnappend. Weg, nur weg! Jetzt kamen die richtigen Schmerzen. Sein rechter Arm war taub, hing leblos herunter und schien nicht mehr so sicher befestigt zu sein wie zuvor. Er hatte den Geschmack von Blut im Mund. Alice gab noch zwei Schüsse ab.
Als er glaubte, weit genug weg zu sein, riskierte er einen Blick zurück. Sein Blickwinkel verengte sich und färbte sich an den Rändern gräulich. Seine Sicht zog sich kreisförmig zusammen, wie bei einer Comicfigur in deren letzten Momenten. Doch er konnte erkennen, wie sich Alice und Martin Chatwin auf dem Sandboden gegenüberstanden, zehn Schritte voneinander entfernt.
Das Magazin war leer. Alice warf den Revolver wieder Janet zu.
»Na schön«, sagte sie ruhig. »Wollen wir doch mal sehen, was Ihnen Ihre Freunde sonst noch beigebracht haben.«
Ihre Stimme klang ganz leise in der stillen Höhle, aber nicht ängstlich. Martin sah sie mit amüsierter Neugier an. Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Was dachte sie sich? Wollte sie wirklich gegen ihn kämpfen? Zehn lange, stille Sekunden tickten vorüber.
Als er auf sie zurannte, war Alice bereit. Sie als Einzige. Ohne Warnung griff er sie aus dem Stand an – eben noch war er zur Statue erstarrt, dann sah man ihn nur noch verschwommen. Quentin hatte nicht geahnt, dass sie so schnell reagieren konnte,
Weitere Kostenlose Bücher