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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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hinüber.
    »Du bist also einfach so reinmarschiert? Was haben sie dazu gesagt?«
    »Sie konnten es nicht glauben. Normalerweise kann niemand das Haus von alleine finden. Sie glaubten an einen Zufall, aber es ist so offensichtlich, dass hier alte Magie in der Luft liegt, überall! Die ganze Umgebung schwirrt nur so davon – wenn man mit den richtigen Zauberformeln hinschaut, leuchtet sie auf wie ein Waldbrand.
    Sie haben mich wohl zuerst für eine Landstreicherin gehalten. Ich hatte Zweige in meinen Haaren. Und ich hatte die ganze Nacht geweint. Professor Van der Weghe hatte Mitleid mit mir. Sie hat mir Kaffee eingeflößt und ich durfte die Aufnahmeprüfung ganz alleine ablegen. Fogg hat sich zuerst gesträubt, aber sie hat ihn überredet.«
    »Und du hast natürlich bestanden.«
    Wieder zuckte sie mit den Schultern.
    »Ich verstehe das immer noch nicht«, sagte Quentin. »Warum bist du nicht eingeladen worden wie alle anderen auch?«
    Sie antwortete nicht, sondern starrte nur verbissen den diesigen Mond an. Tränen liefen ihr über die Wangen. Er erkannte, dass er wahrscheinlich gerade in Worte gefasst hatte, was das überwältigende Problem von Alice’ ganzer Existenz in Brakebills war. Er erkannte, leider erst sehr spät, dass er nicht der Einzige war, der Probleme hatte und sich wie ein Außenseiter fühlte. Alice war nicht nur der wandelnde Wettbewerb, eine, deren einziges Ziel im Leben darin bestand, Erfolg zu haben und damit zu seinen Depressionen beizutragen. Sie war eine Person mit ihren eigenen Hoffnungen und Gefühlen, ihrer Geschichte und ihren Alpträumen. Auf ihre Art war sie genauso verloren wie er.
    Sie standen im Schatten einer riesigen Tanne, einem schütteren, blaugrauen Ungeheuer, das unter seiner Schneelast stöhnte. Unwillkürlich dachte Quentin an Weihnachten und erkannte plötzlich, dass sie es verpasst hatten. Er hatte vergessen, dass sie nach Brakebills-Zeit lebten. Das richtige Weihnachten, im Rest der Welt, hatte vor zwei Monaten stattgefunden und es war ihm nicht einmal aufgefallen. Seine Eltern hatten so etwas am Telefon erwähnt, aber der Groschen war nicht gefallen. Seltsam, dass solche Dinge plötzlich überhaupt keine Rolle mehr spielten. Er fragte sich, was James und Julia in den Ferien gemacht hatten. Sie hatten überlegt, zu dritt hinauf nach Lake Placid zu reisen, wo Julias Eltern eine Hütte besaßen.
    Aber was spielte das schon für eine Rolle? Es fing wieder an zu schneien, feine Kristalle, die sich auf die Wimpern setzten. Wofür zum Teufel arbeiteten sie eigentlich so hart? Welchen Sinn hatte es? Macht? Wissen? Aber all das war so lächerlich abstrakt. Die Antwort hätte ganz klar sein müssen, aber er konnte sie nicht richtig in Worte fassen.
    Neben ihm zitterte Alice vor Kälte. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper.
    »Jedenfalls bin ich froh, dass du jetzt hier bist, wie immer du hierhin geraten bist«, sagte Quentin unbeholfen. »Wir sind alle froh.« Er legte einen Arm um ihre eingezogenen Schultern. Sie lehnte sich nicht an ihn oder zeigte in irgendeiner Weise, dass sie sich getröstet fühlte. Doch wehrte sie ihn auch nicht ab, was er ein wenig befürchtet hatte. »Komm, lass uns zurückgehen, sonst wird Fogg doch noch richtig sauer. Außerdem haben wir morgen eine Prüfung. Du willst doch nicht zu müde sein, um sie zu genießen?«
     
    Die Prüfung fand am nächsten Morgen statt, dem Montag der dritten Dezemberwoche. Zwei Stunden schriftlich, zwei Stunden praktische Übungen. Viel echte Magie wurde nicht abgefragt. Die meiste Zeit saß Quentin in leeren Klassenräumen, zusammen mit drei Prüfern, zwei aus Brakebills und eine Externe (sie hatte einen deutschen, vielleicht auch Schweizer Akzent). Sie hörten ihm dabei zu, wie er mittelenglische Beschwörungen rezitierte und Zauberformeln analysierte, oder sie beobachteten ihn dabei, wie er versuchte, mit den Fingern perfekte Kreise in der Luft zu ziehen, verschieden groß und in unterschiedliche Richtungen, während draußen immer mehr Pulverschnee geräuschlos vom weißen Himmel herunterrieselte. Es war fast eine Antiklimax.
    Die Ergebnisse wurden am frühen Morgen des nächsten Tages jedem unter seiner Tür hindurchgeschoben, auf einem dicken Stück cremefarbenem Papier, das aussah wie eine Hochzeitseinladung, einmal in der Mitte gefaltet. Quentin hatte bestanden, Alice hatte bestanden und Penny war durchgefallen.

DER VERMISSTE JUNGE
    In Brakebills waren die letzten beiden Dezemberwochen unterrichtsfrei.

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