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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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geschehen würde, denn immer beim Frühstück stellten sie fest, dass zehn ihrer Kommilitonen fehlten. Es musste zwei oder drei Uhr morgens sein, aber er war sofort wach, als Professor Van der Weghe an seine Tür klopfte. Er wusste, was das bedeutete. Der Klang ihrer rauen Stimme mit dem europäischen Akzent erinnerte ihn an jene erste Nacht in Brakebills, als sie ihn nach der Prüfung zu Bett gebracht hatte.
    »Es ist Zeit, Quentin«, sagte sie. »Wir gehen hinauf aufs Dach. Nimm nichts mit.«
    Er stand auf und schlüpfte in seine Pantoffeln. Draußen stand eine Reihe stiller, verschlafener Brakebills-Kommilitonen auf der Treppe.
    Niemand sagte ein Wort, als Professor Van der Weghe sie durch eine Tür in einer Wand führte, die – Quentin hätte es schwören können – gestern noch glatt und weiß gewesen war. Sie öffnete sich zwischen zwei übermannshohen Ölgemälden mit Segelschiffen in stürmischer See. Stumm schlurften sie die dunklen Holzstufen hinauf. Sie waren zu fünfzehnt, zehn aus dem Vierten, fünf aus dem Fünften Studienjahr, und alle trugen die gleichen marineblauen Brakebills-Schlafanzüge. Entgegen der Anordnung umklammerte Gretchen einen schwarzen Teddybären zusammen mit ihrem Stock. Professor Van der Weghe, die ihnen voranschritt, öffnete mit lautem Knall eine Falltür, und einer nach dem anderen traten sie hinaus auf das Dach.
    Es war ein heikler Balanceakt über einen langen, schmalen, windumtosten Steg. Rechts und links fiel das Ziegeldach steil ab. Ein niedriger schmiedeeiserner Zaun lief am Steg entlang, der jedoch keinerlei Schutz oder Absicherung bot. Im Gegenteil: Auf Kniekehlenhöhe wurde er bei der kleinsten Unsicherheit zur Stolperfalle. Die Nacht war beißend kalt und der Wind blies aus wechselnden Richtungen. Hoch am Himmel zogen einige wenige, sturmgepeitschte Wolken am dreiviertelvollen Mond vorbei, der sie gespenstisch erleuchtete.
    Quentin schlang die Arme um den Oberkörper. Noch immer hatte keiner ein Wort gesagt. Sie sahen einander nicht einmal an. Sie waren wie im Halbschlaf, und ein einziges Wort hätte sie aus dem federleichten Traum wecken können, in dem sie wandelten. Sogar die anderen Physiker waren wie Fremde.
    »Und jetzt alle die Schlafanzüge ausziehen!«, rief Professor Van der Weghe.
    So unvorstellbar wie es war, sie taten es. Die ganze Situation war so surreal und hypnotisch, dass es für Jungen wie Mädchen absolut sinnvoll erschien, sich in der eisigen Kälte voreinander auszuziehen, ohne sich im Geringsten zu schämen. Später erinnerte sich Quentin sogar daran, wie Alice ihm ihre warme Hand auf die Schulter gelegt hatte, um das Gleichgewicht zu halten, als sie die Pyjamahose auszog. Bald standen sie alle nackt und zitternd da, ihre bloßen Rücken und Hintern bleich im Mondlicht leuchtend. Tief unter ihnen erstreckte sich der Campus im Sternenlicht, begrenzt von den dunklen Bäumen des fernen Waldes.
    Einige der Studierenden umklammerten ihren Schlafanzug mit beiden Händen, aber Professor Van der Weghe bedeutete ihnen, ihn einfach auf einen Haufen zu ihren Füßen zu werfen. Quentins Pyjama wurde über den niedrigen Zaun davongeweht, aber er rührte keinen Finger, um ihn zurückzuhalten. Es spielte keine Rolle mehr. Professor Van der Weghe ging an der Reihe entlang und markierte jeden von ihnen mit einem dicken Klecks weißer Kreidepaste auf der Stirn und auf beiden Schultern. Als sie fertig war, kehrte sie wieder zurück, begutachtete ihr Werk und kontrollierte, ob alle aufrecht dastanden. Schließlich schrie sie auf, eine einzige, heisere Silbe.
    Unmittelbar darauf wurde Quentin von einem riesigen, weichen Gewicht niedergedrückt, das sich auf seine Schultern legte und ihn hinunterpresste. Er ging in die Knie, stemmte sich dagegen. Er versuchte, dagegen anzukämpfen, es wegzuwuchten. Es zerquetschte ihn! Er unterdrückte die Panik. Das Ungeheuer ist zurück!, schoss es ihm durch den Kopf – aber nein, das hier war anders. Als er zusammenbrach, fühlte er, wie sich seine Knie in seinen Bauch bohrten, ja, mit ihm verschmolzen. Warum half ihnen Professor Van der Weghe nicht? Quentins Hals streckte sich, immer weiter, unkontrollierbar. Ihm war speiübel, aber er konnte sich nicht erbrechen. Seine Zehen schmolzen und flossen ineinander, seine Finger streckten sich ungeheuer und spreizten sich, und etwas Weiches, Warmes brach aus seinen Armen und seiner Brust hervor und bedeckte ihn vollständig. Seine Lippen blähten sich grotesk auf und verhärteten

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